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Archiv-Artikel

„Die Chancen für einen Putsch stehen schlecht“

Der Kiewer Politologe Wladimir Polochailo hat nur sehr wenig Hoffnung für die Opposition gegen Alexander Lukaschenko in Weißrussland: Dem dortigen Präsidenten sei es gelungen, ein autoritäres Regime zu etablieren, das von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird

taz: Herr Polochailo, einige hatten auch in Weißrussland auf eine Revolution nach ukrainischem Vorbild gehofft. Im Moment sieht es ja eher nicht danach aus.

Wladimir Polochailo: Fünf Prozent der Bevölkerung machen keine Revolution. Das ist eben der große Unterschied zur Ukraine. Dort war die Zivilgesellschaft schon bis zu einem gewissen Grade entwickelt. Expräsident Kutschma hat es nicht geschafft, ein autoritäres Regime zu installieren, weil er nie über die Zustimmung der Mehrheit verfügt hat. Lukaschenko ist es gelungen, ein solches Regime zu etablieren, die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt ihn. Er hat nach wie vor das politische Monopol, es gibt keinen politischen Wettbewerb. Eine Zivilgesellschaft hat sich nicht formieren können. Wie er das geschafft hat? Durch Populismus, Manipulation und die Unterstützung Russlands.

Wenn Sie jetzt Berater der weißrussischen Opposition wären, was wäre Ihre Empfehlung?

Zunächst einmal müssten sich die weißrussischen Oppositionspolitiker zusammenraufen. Sie haben immer noch keine gemeinsame Strategie, arbeiten gegeneinander und agieren isoliert voneinander.

Gut, das betrifft die Politiker. Was aber ist mit der Basis, das heißt denjenigen Wählern, die Lukaschenkos Politik ablehnen?

Erst mal ist festzuhalten, dass das für weißrussische Verhältnisse gar nicht so wenige sind. Denn viele, die für Lukaschenko gestimmt haben, haben dies aus Angst getan – aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren oder verfolgt zu werden. Dieses Potenzial müssten die Politiker konsolidieren. Dabei sollten die Formen des Widerstandes vollkommen friedlich und gewaltlos sein.

Halten Sie einen Putsch aus Lukaschenkos Umgebung für möglich?

Dafür stehen die Chancen heute schlecht. Denn der weißrussische Autoritarismus basiert auf sowjetischen Traditionen, das heißt politischer Verfolgung und Einschüchterung der Bevölkerung. Diese Angst vor Lukaschenko beherrscht aber auch die Leute in seiner Umgebung, die mit seinem politischen Kurs nicht einverstanden sind.

Die europäischen Staaten tun sich ja nicht gerade durch ein besonderes Engagement hervor. Was sollte sich Europa jetzt verhalten?

Nach den letzten Wahlen hat sich Europa auf die Rolle eines passiven, gleichgültigen Beobachters zurückgezogen. Das hat Lukaschenko freie Hand gegeben, sich immer mehr Rechte herauszunehmen, als ihm die Verfassung zugesteht. Damit muss jetzt Schluss sein. Es reicht nicht, die Wahlergebnisse nicht anzuerkennen und Lukaschenko zu isolieren. Europa muss jetzt eine klare Strategie erarbeiten, die deutlich macht, um was für eine Art von Regime es sich handelt. Die Verstöße gegen internationale Rechte und Vereinbarungen, aber auch die weißrussische Verfassung selbst, müssen Gegenstand von Überprüfungen im Europarat, der OSZE und der Europäischen Union werden. Das ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Weißrusslands, sondern eine solidarische Unterstützung für die politischen Bürgerrechte der Weißrussen.

Bedeutet das auch, diplomatischen Druck auf Russland auszuüben?

Unbedingt. Ohne Russlands Unterstützung könnte Lukaschenko nicht mit einer solchen Carte blanche agieren. Der Autoritarismus in Weißrussland lebt doch nur, weil er sich auch in Russland behauptet. Aber stattdessen wird Russlands Präsident Wladimir Putin, besonders in Deutschland, von vielen immer noch als demokratischer Politiker hofiert. INTERVIEW: BARBARA OERTEL