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Archiv-Artikel

Die Definition von crazy

In der nigerianischen Metropole Lagos boomt die HipHop-Szene. Doch jenseits von MTV Africa hat die Welt davon noch fast nichts mitbekommen. Im HAU treten die wichtigsten Rapper auf die Bühne

Eedris hatte eine legendäre Prügelei mit 50 Cent und predigt trotzdem seine Mission: HipHop als Abendschule

VON ANNETT BUSCH

„Lagos – Centre of Excellence“ liest man auf den Nummernschildern der Autos, wenn man im notorischen Verkehrschaos der nigerianischen 20 Millionen-Metropole steckt. Hier findet alles im Superlativ statt. „Lagos ist der einzige Ort, wo auch ein Blinder einen Führerschein bekommt. Es ist alles nur eine Frage des Geldes“, bringt der Journalist Ayo Animashaun die absurd anmutende, von Korruption gezeichnete Lage der Stadt auf den Punkt – und kann sich gleichzeitig darüber freuen, dass hier deswegen fast alles möglich scheint.

Ayo ist Gründer und Herausgeber des Magazins HipHop World. Auch auf ihn trifft das Adjektiv zu, das in der Stadt dieser Tage en passant am häufigsten fällt: crazy. Alles ist hier crazy, die Leute, die Stadt, der Verkehr, das Geld, die Massen an Spam-Mails, die sich tagtäglich an Vorauskassenbetrug versuchen. Das Ausmaß an Crazyness hat mit der Gleichzeitigkeit, Dringlichkeit, Geschwindigkeit und Widersprüchlichkeit zu tun, mit der die Lagocians täglich zu tun haben. Es ist wohl kein Zufall, dass die Bestverdienendsten in der nigerianischen Unterhaltungsindustrie die Comedians sind. Humor zählt hier zu den wichtigsten Waffen.

Die meisten Europäer assoziieren mit der Musikszene Nigerias noch immer Fela Kuti und Afrobeat. Doch in den letzten Jahren hat sich vor allem in der Hauptstadt Abudja und in Lagos eine weitläufige, heterogene und selbstbewusste HipHop-Szene entwickelt. Die breite Identifikation mit der HipHop-Kultur läuft hier nicht so sehr über Mode, Style und Graffiti, sondern vielmehr über Haltung und Aneignung. „Wir sind nicht in Amerika, aber es gibt hier auf den Straßen Jungs, die mehr über HipHop wissen als die Typen in New York“, bringt Journalist Ayo die Sache auf den Punkt.

Und dann ist da Mode IX alias Oluwasegun Babatunde, der Mann im strahlend blauen XXL-Basketball-Shirt, der sich weigert, in einer der afrikanischen Sprachen wie Yoruba oder Hausa zu rappen. Auch Pidgin ist nicht seins – er reimt seine Geschichten in „straight English“. Er war acht, als seine Eltern von London nach Lagos umzogen. Pidgin war für ihn eine Fremdsprache wie für die anderen sein Englisch. Inzwischen ist es für ihn eine Frage der Haltung und Selbstachtung geworden, weiter in English zu rappen. In seinen Texten bedient er sich bei Malcolm X und dem Schriftsteller William Wordsworth. Er bleibt aber in Nigeria ein Außenseiter – dafür laufen zwei seiner Videos inzwischen auf MTV in Europa und den USA.

Ruggedman dagegen begann seine Karriere damit, Protagonisten der nigerianischen HipHop-Szene zu dissen, ohne Rücksicht auf Verluste. Inzwischen blickt er stolz auf die Erfolge, die seine Erziehungsmaßnahmen gezeitigt haben: „Viele sind besser geworden und strengen sich an, über Dinge zu rappen, die auch wirklich relevant sind.“

Dinge, die wichtig sind – die sind auch die erklärte Spezialität von Eedris Adulkareem, dem großmäuligen Enfant terrible der Szene in Lagos. Ende der Neunziger schrieb Eedris für seine alte Band The Remedies den Hit „Shakomo“ – der Beginn der öffentlichen Wahrnehmung von HipHop in Nigeria. Seit dem Zerwürfnis mit seiner Band macht er solo weiter, als Poser und großer Pädagoge. Aufgewachsen im muslimisch-fundamentalistischen Norden des Landes, verkörpert Eedris das Aufstiegsmärchen aus dem Ghetto. Er hat eine legendäre Prügelei mit dem US-amerikanischen HipHopper 50 Cent hinter sich und wird trotzdem nicht müde, seine Mission zu predigen: HipHop ist eine Art Abendschule.

Er spricht gern von „my people“, er liebt sie, seine Leute, und will nicht, dass sie leiden. In einem Land, das 150 Millionen Menschen zählt und eine Alphabetisierungsrate von 6 Prozent vorzuweisen hat, wo Korruption zum guten Ton und Stromausfall zur Tagesordnung gehört, während Unmengen an Öl-Dollar in privaten Luxus investiert werden, begreift er Bildung als das vordringlichste Problem. Und: Wenn die Leute keine Bücher lesen können, braucht es eben andere Wege der Aufklärung. Es mag ein wenig simpel klingen – aber Eedris ist es wirklich ernst.

Zuletzt hat er neben seinem Plattenlabel La Kreem eine Aidsstiftung gegründet, und auf seinem letzten Album „Letter to Mr. President“ sagte er Staatsoberhaupt Olusegun Obasanjo den Kampf an. In einem seiner Songs hält er mit falsch gewickeltem Turban und breitem Grinsen den humorlosen Glaubensbrüdern im Norden des Landes einen Zerrspiegel vor die Augen.

Terry tha Rapman, der wegen eines Studiums wie Mode IX zu den Intellektuellen der HipHop-Szene gezählt wird, geht das Problem des ganz normalen Wahnsinns in Lagos noch völlig anders an: „Hi, I am a … ehn? I am a … what? I am a Nigerian. Hi, I am a … who? I am a … what? I am a Nigerian.“ Eins zu eins übernimmt er Tonfall und Struktur von Eminems „Hi, my name is …“ und macht aus dessen individueller Neurose eine nationale Psychose. Den alltäglichen Hussle um Geld, Liebe und Fake verdichtet Terry gleichzeitig zu Humor und Sozialkritik.

Es wird noch eine Weile dauern, bis hierzulande Hits wie „I am a Nigerian“ von Terry the Rapman neben denen von Eminem verhandelt werden. Foren und Internetseiten wie www.naijajams.com dürften für eine ausgeweitete Rezeption von nigerianischem HipHop mehr Bedeutung haben als MTV, obwohl vor einem Jahr MTV Base Africa gegründet wurde – angetreten, um afrikanische Popmusik international bekannter zu machen. Doch der Journalist Ayo Animashaun bleibt skeptisch: „Nimm 2Face, auch aus Lagos. Er hat den MTV-Europe-Award als bester afrikanischer Künstler bekommen. Aber lief sein Video deswegen im europäischen Musikfernsehen? Nein!“ Hier überschlägt sich Ayos Stimme fast, so in Rage gerät er: „Das Problem ist, dass die Leute das hier nicht wissen und ständig diesem großen Missverständnis aufsitzen. Die sehen – oooh! – 2Face auf MTV Africa und denken: Cool, das läuft jetzt in der ganzen Welt. Aber das stimmt nicht, das ist dumm. Und unglaublich ermüdend.“

Urban Africa Club: Lagos. Mit Eedris Abdulkareem, Mode IX, Ruggedman, African China, Adé Bantu, Rule Clean, One Kilo u. a., morgen, 29. 3., 22 Uhr, HAU 2Bei out:here records in München ist dieser Tage der Sampler: „Lagos stori plenti: Urban sounds from Nigeria“ erschienen