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Archiv-Artikel

Für Konsum, gegen Kapitalismus

KUNSTPARCOURS Friedrich von Borries hat in Berliner Museen seine „Weltverbesserungsmaschine“ installiert. Er zeigt die Widersprüche des modernen Menschen auf, ohne ihn dabei als Opportunisten zu entlarven

Das ist gutes Stadtmarketing. So geschickt gemacht, dass es keiner merkt

VON TINA KLOPP

Alte Nationalgalerie, Freitagvormittag. Eine Frau zerrt ihr Kind an einem Gemälde von Heinrich Wilhelm Trübner vorbei. „Nicht anfassen!“, herrscht sie den Jungen an. Auf dem Bild ist eine Dogge zu sehen. Stolz reckt das Tier die Schnauze empor. Darüber baumelt eine Schnur aus Wurst. Die Frau mit Kind, die schon dem Museumsshop entgegenstrebt, hat das Bild nur eines kurzen Blicks gewürdigt. „Haben Sie bemerkt, dass Sie eben an einem Teil der Weltverbesserungsmaschine vorbeigegangen sind?“ Die Frau guckt irritiert. Sie hat den Text auf dem kleinen Aufsteller neben dem Bild schlicht übersehen. Dort hätte sie gelesen: „Gehorsam und Selbstkontrolle werden zu Tugenden, mit denen Ungerechtigkeit ertragen werden kann. Das dressierte Wesen ist aber das Gegenteil von Weltverbesserung.“

Diese Hinweistafel ist Teil einer von Friedrich von Borries kuratierten Ausstellung. Sie wurde vor Kurzem in Form eines überdimensionalen Metallgestells – der Berliner Weltverbesserungsmaschine – auf dem Vorplatz des Hamburger Bahnhofs eröffnet. Ihre einzelnen Bestandteile indes sind über die ganze Stadt verteilt. Die Ausstellung besteht primär aus kleinen Tafeln, die an ausgewählten Artefakten in Berliner Museen angebracht wurden, mit Hinweisen zur Bedeutung des jeweiligen Werks im Kontext der Weltverbesserung. Etwa „Der leere Thron“ im Bode-Museum, ein Steinrelief aus dem fünften Jahrhundert n. Chr., auf dem der Herrscher fehlt. Und damit, wenn man so will, schon damals die Menschen zu der Frage animiert haben könnte, ob sie sich nicht besser selbst regierten.

Eine Schatzkarte weist den Weg zu den einzelnen Werken, die sich sowohl in naturkundlichen, historischen als auch künstlerischen Sammlungen befinden. In der Gemäldegalerie etwa erläutert ein Aufsteller zum „Jungbrunnen“ Lucas Cranachs, dass der begehrliche Körper schon lange vor Fitnessstudios und Schönheitschirurgie das goldene Kalb gewesen sei, die Welt durch dieses oberflächliche Konzept von Schönheit aber auch nicht besser werde.

Mit seiner Zusammenstellung nimmt Borries eine Idee aus dem 17. Jahrhundert wieder auf, wonach bestimmte Artefakte, einmal in die richtige Anordnung gebracht, die Welt verbessern würden. Auf die Frage, ob er auch privat zu magischem Denken neige, sagt der Architekt und Designtheoretiker: „Ich neige privat überhaupt nicht zum Denken.“ Für den Umstand, dass man die einzelnen Artefakte seiner Ausstellung leicht übersehen könnte, erfindet er fix die Wendung „Strategie der Beiläufigkeit“.

Friedrich von Borries erfindet überhaupt so einiges. Er konstruiert Maschinen, die profane Baugerüste sind; kuratiert Ausstellungen, die in bestehenden wildern; schreibt Romane, die keine sind; überzieht Sperrmüll mit Gold und will durch Shopping die Welt retten. Aber eigentlich ist er vor allem eines sein: der Meister der Sentenzen, ein Marketingexperte im Grunde und ein Designer von Ideen, Trash und Konzepten.

Interessante Gegensätze

Eine Logik oder gar eigene Theorie steht zum Glück nicht dahinter. Vielmehr verknüpft Borries Gegensätze so miteinander, dass sie einander maximal mit Interessantheit aufladen: Werbung und Revolution zum Beispiel. Wissenschaft und Kunst. Aufklärung und magisches Denken. Das richtige Leben im falschen, kurz „RLF“, so das Akronym seines neuen bei Suhrkamp erschienenen Romans, in dem ein Werber zufällig in einen gewaltsamen Protest gerät und die Riots daraufhin nicht nur als neue Marektingstrategie, sondern auch als Freizeitvergnügen für sich selbst erfindet.

Wenn man nicht die Welt verbessern wolle, könne man ja gleich einpacken, sagt Borries treuherzig: „Natürlich kann die Kunst die Welt verändern. Nicht Kraft ihrer selbst, sondern durch das, was sie im Rezipienten auslöst!“ Und was wünscht er sich da so? „Heute bekam ich eine Mail von einem Besucher. Er schrieb: Verbot der Waffen- und Luxusgüterproduktion!“ Das Bequeme am Prinzip Borries ist, dass er an beliebiger Stelle behaupten kann, es sei ironisch gemeint. So kann man auch als Rezipient immer auf der richtigen Seite stehen. Dieses Prinzip allein aber ist noch kein Garant für gute Resultate – den Roman muss wirklich niemand lesen, der Neues über Guerillamarketing erfahren oder sich literarisch erbauen will. Die Produkte, die Borries passend zum Buch entwerfen lies, sind besserer Sperrmüll. Die Hinweistafeln zu seiner Weltverbesserung fordern niemanden zum Denken heraus.

Der eigentliche und geniale Schachzug ist die Idee dahinter, und diese ist bis auf die Knochen menschlich: Borries entwickelt attraktive, kleine Szenarien, um die Widersprüche des modernen Menschen aufzulösen. Also die ganze Perfidie unserer Kulturbeflissenheit aufzuzeigen, ohne uns dabei als läppische Opportunisten zu entlarven. Denn das haben andere ja längst getan: Wir mögen Konsum und sind gegen den Kapitalismus, wir wollen umverteilen, aber selbst nichts abgeben, wir leben von Unternehmensaufträgen, aber wollen vom Kunst-Underground geliebt werden, und sei es nur, weil wir dort die lässigeren Partys, das schönere Publikum erwarten.

Welcher Werber sieht sich schon selbst als Werber. Welcher Kurator nicht als Künstler. Und welcher Journalist nicht insgeheim als Literat. Kreativität ist in unserer Gesellschaft zum obersten Wert geworden. Und viel inhaltsleere Kunst beten wir vielleicht nur deshalb an, weil wir sie uns nicht leisten können. Diese Ambivalenz wurde schon lange nicht mehr so schön in Szene gesetzt.

Und so schließt sich der Kreis. Wer die rund sechzig Teile der „Weltverbesserung“ sehen will, muss ein gutes Dutzend Berliner Museen besuchen. Gutes Stadtmarketing. Auch das ist so geschickt gemacht, dass es keiner merkt.

■ Bis 20. Oktober, www.berliner-weltverbesserungsmaschine.de