: Über 6.000.000 sind auf der Flucht
SYRIEN I Das UN-Flüchtlingshilfswerk legt neue Zahlen vor und bittet um Hilfe für die Aufnahmeländer. Die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche. Doch die meisten Vertriebenen sind Binnenflüchtlinge
VON BEATE SEEL
BERLIN taz | Von den 22 Millionen Einwohnern Syriens sind inzwischen 27 Prozent auf der Flucht. Die meisten von ihnen sind mit 4.250.000 Personen Binnenflüchtlinge, während sich am Dienstag der zweimillionste Syrer jenseits der Landesgrenzen in Sicherheit brachte. Diese Angaben legte die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR jetzt in Genf vor.
Werden die Zahlen der Inlands- und Auslandsflüchtlinge addiert, bedeutet das, dass Syrien mit insgesamt mehr als sechs Millionen das Land mit den meisten Flüchtlingen weltweit ist. Und jeden Tag fliehen laut UNO durchschnittlich 5.000 weitere Syrerinnen und Syrer über die Landesgrenzen.
In einer Erklärung bezeichnete das UNHCR diese Entwicklung als alarmierend. Noch vor einem Jahr lag die Zahl der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten bei etwa 230.670 Personen. Seither sind also 1,8 Millionen dazugekommen. Erfasst wurde die Zahl der Flüchtlinge, die entweder als solche registriert sind oder sich noch im Prozess der Registrierung befinden.
„Syrien ist zur großen Tragödie dieses Jahrhunderts geworden – eine beschämende humanitäre Katastrophe mit Leid und Vertreibung in einem in der jüngeren Geschichte beispiellosen Ausmaß“, erklärte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres. „Der einzige Trost ist die Menschlichkeit, die benachbarte Länder aufbringen, indem sie so viele Menschen aufnehmen und damit deren Leben retten.“
Nach UNHCR-Angaben hat der Libanon 716.000 Flüchtlinge aufgenommen, Jordanien 515.000, die Türkei 460.000, der Irak 168.000 und Ägypten 110.000. Auch die Flucht nach Nordafrika und Europa nimmt zu. Insbesondere steigt die Zahl derer, die versuchen, nach Italien zu gelangen. UN-Vertreter beklagten, die Aufnahmeländer sowie die Hilfsorganisationen bekämen nicht genügend Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge.
Von den Flüchtlingen in Syriens Nachbarstaaten sind 52 Prozent Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre. „Es geht hier um nichts anderes als das Überleben und Wohlergehen einer Generation Unschuldiger“, hatte Guterres bei der Vorstellung eines entsprechenden Berichts vor zehn Tagen in Genf gesagt. „Die Jugend Syriens verliert ihr Zuhause, ihre Angehörigen und ihre Zukunft. Selbst nachdem sie sich über eine Grenze in Sicherheit gebracht haben, sind sie traumatisiert, depressiv und brauchen einen Grund für Hoffnung.“
Besonders dramatisch ist die Lage von Kindern und Jugendlichen im Libanon, wo viele von ihnen ohne Begleitung von Erwachsenen ankommen. Sie leben in Beirut und anderen Städten auf der Straße, betteln oder verkaufen Kaugummi, Spielzeug oder Blumen, wie die britische BBC kürzlich berichtete.
Viele dieser Minderjährigen werden Opfer von Missbrauch, geraten in die Drogenszene oder verdingen sich als Prostituierte. Im Libanon gibt es nur wenige Anlaufstellen für nicht registrierte Straßenkinder.