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Archiv-Artikel

Nichtwähler sind doof

INTERVENTION EINER UNTERNEHMERIN Wie die Klimapolitik vernachlässigt wird

Claudia Langer

Geboren 1965 in München. Beruf: Unternehmerin. Erste Firmengründung – eine Eventagentur – bereits in der Schulzeit. Inzwischen auch Autorin und Aktivistin für Nachhaltigkeit und Rechte zukünftiger Generationen. Gründerin von Utopia.de. Initiatorin des Generationsmanifestes (www.generationenmanifest.de).

VON CLAUDIA LANGER

Seit knapp 30 Jahren bin ich Unternehmerin und habe in dieser Zeit einiges gelernt. Zum Beispiel dass kaum ein Unternehmen ohne eine klare Strategie und Zielsetzung langfristig erfolgreich sein kann. Ich weiß auch, dass man nur in guten Zeiten die Luft hat, eine solche Strategie zu entwickeln. Wenn die Zeiten schlecht werden, ist es oftmals zu spät.

Was für Unternehmen gilt, das müsste für die Bundesrepublik Deutschland doppelt gelten. Auch die Bundeskanzlerin führt ein riesiges Unternehmen mit über 80 Millionen Mitgesellschaftern (uns!) und internationaler sowie generationenübergreifender Verantwortung. Deutschland geht es aktuell gar nicht schlecht, der perfekte Zeitpunkt, eine tragfähige Zukunftsstrategie zu entwickeln. Doch Fehlanzeige! Wir haben uns damit abgefunden, dass die Republik ohne klares Ziel und ohne erkennbare Strategie „auf Sicht“ von Neuland zu Neuland stolpert. Banken, Chemie- und Autokonzerne hingegen, sie alle haben langfristige Strategien. Kein Wunder, dass sie ihre Interessen so wirkungsvoll vertreten, oft genug auf unsere Kosten.

Für die dramatischen Fehlentwicklungen der letzten zwei Legislaturperioden sind CDU, CSU, FDP und die SPD in der großen Koalition gleichermaßen verantwortlich. Mit einer langen Liste an sträflich vernachlässigten Themen: Deutschlands Klimapolitik, die zu Beginn der schwarz-gelben Wunschkoalition noch ein zentrales Thema war, ist auf der Resterampe der unbequemen To-do-Liste gelandet. Die wachsende soziale Ungerechtigkeit wird kühl als „Auseinanderdriften“ betitelt und dem ökonomischen Wettbewerbsdiktat unterworfen. Tatsächlich aber werden weite Teile der Bevölkerung enteignet. Der Bürger trägt durch steigende Strompreise die Risiken der Energiewende, während die Industrie, allen voran die der alten Tage, davon befreit wird. Banken und Spekulanten schultern nicht die finanziellen Folgen ihres Handelns, sondern der Steuerzahler. Das alles muss uns, allen voran im Sinne zukünftiger Generationen, ernsthaft zu denken geben!

Unsere Kinder haften für unsere Fehler. Sie zahlen die Rechnung für die Verschuldungspolitik der vergangen 40 Jahre, die Fehler bei der Konstruktion der Eurozone, die verpassten Reformen beim Umbau der Sozialsysteme, die kontinuierliche Ausbeutung endlicher Ressourcen, die Klimakillerpolitik. Ich könnte die Liste weiterführen. Fakt ist: Wir verschieben die Verantwortung gewissenlos in die Zukunft, und damit ist die gegenwärtige Politik Verrat an allen unter 30-Jährigen.

Der Schuldige ist jedoch nicht nur die Politik, es ist eine Kollektivschuld, denn wir alle sind Teil der Politik, und wir alle bestimmen den Kurs. WIR sind es, die saturiert im „Totalitarismus der gegebenen Verhältnisse“, wie Claudius Seidl es so treffend bezeichnet, leben und etwas Entscheidendes missverstehen: Die Zukunft ist keine lineare Verlängerung der Vergangenheit. Und wir alle wissen, je länger wir das Handeln hinauszögern, umso chaotischer wird diese Zukunft werden. Es ist jetzt schon mit Händen zu greifen, wie groß die Angst der Menschen ist, dass ihnen die Sicherheit und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft unwiederbringlich verloren gehen. Die Demokratie und unser gesellschaftlicher Friede sind in Gefahr, wenn wir uns jetzt nicht zusammentun, eine Zukunftsstrategie entwerfen und sie miteinander verhandeln.

Der Weg zu einer tragfähigen Strategie beginnt mit unseren Stimmen bei den kommenden Wahlen. Das von führenden Intellektuellen und gut bezahlten Professoren propagierte „Nichtwählen“ ist keine Antwort, sondern dumm und gefährlich. Nichtwählen bestätigt nur die bestehenden Verhältnisse, die von den Nichtwählern so vehement kritisiert werden. Das ist die feige Flucht aus der Verantwortung. Die Zukunft braucht uns alle, unsere Ideen und unser Engagement. Wer sich Sorgen um die aktuelle Entwicklung macht, muss mit an Lösungen arbeiten. Denn die Zeit drängt und die „Windows of opportunity“ werden immer kleiner.

Als Mutter kann ich mir die intellektuelle Arroganz des Nichtwählens nicht leisten. Ich habe mit der Geburt meiner Kinder Verantwortung übernommen und kämpfe für ihre Zukunft. Das Mindeste, was wir unseren Kindern versprechen können müssen, ist, dass sie später die selben Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten für ihr Leben haben, die wir selbst einmal hatten. Aber ich kämpfe auch für mich, weil ich die Merkel’sche Neulandreise und die fehlende politische Vision dieser Regierung als Beleidigung meiner Intelligenz empfinde.

Ich will einen Plan, ein Ziel und wissen, wie ich meinen Teil dazu beitragen kann. Obendrein: Ich will endlich eine „konservative“ Regierung im besten Sinne des Wortes. Dazu gehört für mich die Bewahrung der Schöpfung ebenso wie konservative Buchhaltung. Konservativ ist es, im Zweifel mit dem Schlimmsten zu rechnen und in guten Zeiten Rücklagen zu bilden. Die CDU macht gerade das radikale Gegenteil von konservativer Politik, und das empört mich.

Dass eine Partei, die seit acht Jahren an der Macht ist, in ihrem „Regierungsprogramm“ Reformen unter Finanzierungsvorbehalt stellt und absehbare weitere Euro-Rettungszahlungen einfach nicht budgetiert, ist blanker Hohn. Ich fühle mich getäuscht und appelliere daher an Sie: Wir sollten anfangen uns einzumischen. Die Lösung aller großen Probleme braucht beherzte politische Entscheidungen. Jetzt. Also fassen Sie sich ein Herz und treffen Sie eine Wahl, auch wenn das noch nie so schwer schien wie in diesem Jahr, und dann lassen Sie uns die nächste Regierung in Haftung nehmen. Fordern wir einen klaren Kurs und passen wir auf, dass er eingehalten wird. Die Zukunft ist kein Zuschauersport.

Also verlassen Sie den bequemen Platz als Kommentator am Spielfeldrand und schmeißen Sie sich ins Getümmel.