: Praktikanten wehren sich
Am Samstag gehen die hoch Qualifizierten, aber nicht Entlohnten in Brüssel, Paris und Berlin auf die Straße. 900.000 gehören der verlorenen Generation P in Deutschland an, 800.000 in Frankreich
AUS BERLIN ANNEGRET NILL
Das sind optimale Arbeitsbedingungen. Es gibt eine großzügige Ausstattung inklusive Tischmikrofonen. Jeder hat seinen Schreibtisch. Von der Galerie aus fällt der Blick durch die riesenhafte Glasfassade auf die Spree. Freilich ist das kein Musterarbeitsplatz, der die prekäre Lage der vielen hunderttausend PraktikantInnen in Deutschland verbessert. Die SPD im Bundestag hat zur Konferenz „Generation Praktikum“ eingeladen.
„Wir wollen erreichen, dass Praktikanten in die Regelung für einen nationalen Mindestlohn einbezogen werden – damit unbezahlte Praktika nicht mehr möglich sind“, sagt Jessica Heyser von der DGB-Jugend. „Außerdem muss der Begriff ‚Praktikum‘ rechtlich besser definiert werden, damit Praktikanten bei einem Missbrauch ihres Status erfolgreich klagen können.“
Die neu gegründete internationale Gruppe Generation P hat mit ihrem Aufruf zu einem internationalen Praktikanten-Aktionstag nun also die Politik erreicht. Aktionen in Paris, Berlin und Brüssel machen auf die Lage der Praktikanten aufmerksam. Auch Forderungen an die Politik gibt es. Für eine Petition an das Europäische Parlament werden Unterschriften gesammelt. Ziel: eine europäische Regelung.
Die Verdrängung in un- und unterbezahlte Praktika – auf diese Situation treffen viele Hochschulabsolventen nicht nur in Deutschland. Nach Ergebnissen des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (IAB) arbeiten in Deutschland über 900.000 Praktikanten und Aushilfen in Betrieben. Wie sich diese Zahl genau verteilt, hat das IAB mit seinem Betriebspanel leider nicht untersucht. Laut einer von der DGB-Jugend in Auftrag gegebenen Studie nimmt aber die Anzahl der Praktikanten, die für keine oder nur geringfügige Entlohnung arbeiten, weiter zu. Die Berufseinstiegsphase besonders von Sozial-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaftlern verlängere sich zunehmend. Auch nach zwei Jahren seien viele noch ohne festen Job. Deshalb möchte Karl-Heinz Minks vom Hochschulinformationsdienst Praktika als Teil eines umfassenderen Problems sehen: der Ausweitung von unsicheren Beschäftigungsverhältnissen für junge Leute generell, die nun auch Absolventen erreicht hat.
In Frankreich ist die Lage ähnlich. Nach einem Bericht des Comité Economique et Social gibt es in Frankreich etwa 800.000 Praktikanten und Aushilfen in Betrieben – leider auch hier nicht separat erhoben. Ebenfalls unbekannt ist die Zahl der Praktikanten, die ihr Studium bereits abgeschlossen haben, aber keinen bezahlten Job finden.
Praktika von Absolventen dauern in Frankreich normalerweise sechs bis neun Monate, und oft bleibt es nicht bei einem Praktikum. Viele Praktika sind unbezahlt oder werden nur mit 300 bis 370 Euro vergütet – denn ab einem Betrag von über 370 Euro müssen Sozialabgaben für den Praktikanten bezahlt werden. Auch dies ein Grund für die Wut der Studierenden, die sich zurzeit in den anhaltenden Protesten gegen das CPE ausdrückt – einem Gesetz, das den Kündigungsschutz für junge Arbeitnehmer unter 26 abschafft.
„Génération Précaire“ vereinigt Betroffene. Seit Oktober sind sie aktiv – und haben es in die Medien geschafft. Fanny von Génération Precaire drückt das Paradox der Praktikanten in Frankreich aus: „Um ein Praktikum zu machen, muss man an einer Uni eingeschrieben sein. Aber es gibt eine Menge Praktika-Angebote für die Zeit des Jahres, in der Studenten Seminare besuchen und sich nicht für ein Praktikum bewerben können. Die Absolventen, die eine Arbeit suchen, aber keine finden, bewerben sich dann für diese Praktika, um nicht nichts zu tun – und schreiben sich dafür wieder als Studenten ein.“
Die Aktionen in Brüssel wenden sich dagegen direkt an die EU. In Brüssel gibt es ungefähr 2.000 Verbände, Organisationen und Firmen, die mit der EU in Kontakt stehen. Viele dieser Unternehmen und Verbände beschäftigen Praktikanten – oft mehr als einen. Daher gibt es sehr viele junge hoch qualifizierte Praktikanten in Brüssel, die dort für 0 bis 700 Euro pro Monat arbeiten. Dazu kommen die gut 600 Praktikanten, die in den verschiedenen Abteilungen der EU arbeiten. Im Internet präsentiert die Europäische Kommission stolz Bilder von der letzten Praktikanten-Begrüßung, bei der Kommissionspräsident Barroso der 30.000sten Praktikantin in 45 Jahren einen Blumenstrauß überreichte. Voraussetzung für ein Praktikum bei der EU ist ein Hochschulabschluss. Immerhin werden die Praktikanten der EU über ein Stipendiensystem angemessen entlohnt.
Das Podium der SPD-Konferenz ist sich immerhin einig: Es muss etwas getan werden. Der Bildungsausschuss präsentiert neun Punkte gegen die Entstehung eines „Praktikanten-Arbeitsmarktes“ als Billiglohnsektor, die sich auf drei Maßnahmen verengen: Praktika sollen zeitlich begrenzt sein, angemessen entlohnt werden und dem Erweb von Qualifikationen dienen – und sind kein Job-Ersatz. Klingt hilflos angesichts der Lage, ist aber zumindest ein Anfang.
Samstag, 1. April, 12 Uhr. Berlin: Pariser Platz. Paris: Fontaine des Innocents, Châtelet. Aktionen in Toulouse, Lyon, Lille, Straßburg, Brüssel: Platz nicht bekannt. Bitte weiße Maske mitbringen