: Abendessen mit Hyänen
ÄTHIOPIEN Addis ist Hirte und Hyänenmann. Seine Bühne ist die trockene Halbwüste, sein Spiel mit den Tieren Objekt touristischer Begierde
■ Die Anreise in das größte Land am Horn von Afrika erfolgt u. a. mit Emirates, Lufthansa oder Turkish Airlines. Ein äthiopisches Visum ist gegen eine Gebühr von 20 $ auch am Internationalen Flughafen von Addis Abeba erhältlich.
■ Die wenigen Bankomaten in Äthiopien sind oft unzuverlässig. Es empfiehlt sich daher die Mitnahme von Bargeld und/oder Traveller Cheques.
■ Minibusse fahren täglich von Addis Abeba nach Harar. Die Fahrzeit beträgt zwischen 10 und 12 Stunden
■ Unterkunft in Harar: Es gibt einige Pensionen, zum Beispiel Tewodros Hotel (+251 256 660217, 3 bis 10 $) oder Rewda Guesthouse in der Altstadt (+251 256 662211, 10 bis 25 $).
■ Allgemeine Infos zu Äthiopien unter www.tourismethiopia.org (Ministerium für Kultur und Tourismus); www.community-tourism-ethiopia.com (NGO mit Schwerpunkten sanfter Tourismus und nachhaltige Entwicklung); www.menschenfuermenschen.de (Homepage von Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe)
VON MARTIN ZINGGL
Es ist ein kühler Abend im östlichen Hochland Äthiopiens. Auch wenn sich Harar außerhalb seiner mittelalterlichen Mauern bereits zu einer modernen Stadt entwickelt hat, so steht das Leben in der Altstadt seit einigen Jahrhunderten still: Ein paar Ziegen knabbern im Schatten verrosteter Wellblechdächer an Staub. Frauen sitzen in weiten, mit Gold bestickten Gewändern aus purpurfarbener, oranger oder türkisblauer Seide auf ausgebreiteten Tüchern. Sie verkaufen aufwendig gefertigte Korbflechtarbeiten und Schmuck von Silberschmieden. Männer kauen zeremoniell Blätter von Qat, einer pflanzlichen Rauschdroge. Dazu brauen sie Quti, ein mit Kaffeeblättern aufgekochtes Getränk, das mit oder ohne Salz getrunken wird. Ruhe und Harmonie werden nur von den Kreischen umherlaufender Kinder unterbrochen, ehe diese durch die kleinen Eingangstüren in den weiß gekalkten Harari-Häuschen wieder verschwinden. Bunte Holzbalkone verzieren die Fassaden. Palmen, Akazien und Eukalyptus schmücken die Straßen. Ihr üppiges Blätterdach hängt weit über die Gehsteige. Hin und wieder verlaufen sich Kamele oder Esel auf den kopfsteingepflasterten Gässchen. Aufgrund der einmalig erhaltenen Qualität traditioneller muslimischer Architektur würdigte die Unesco Harar samt Stadtmauer 2006 mit dem Prädikat „Weltkulturerbe“.
Als die Sonne am Horizont verschwindet und Tag nicht mehr von Nacht unterschieden werden kann, nimmt Addis einen aus einem Benzinkanister gebastelten Kübel zur Hand und verabschiedet sich von seiner Frau. In dem Kübel befinden sich Tierabfälle: Ziegenknochen mit Fleischresten, Häute von Kamelen und Kühen, Schafsinnereien. Wie jeden Abend wird Addis außerhalb der alten Stadtmauer von Harar die Nebenrolle in einem unwirklichen Tourismusspektakel einnehmen. Nachdem er auf einem großen Stein Platz genommen hat, lassen auch die Hauptrollen nicht mehr lange auf sich warten. Addis kreischt ein paar irritierende Laute in die schwarze Nacht hinein. Angeblich ruft er Namen. Ein paar herumstreunende Hunde bellen und keifen unruhig. Ansonsten Totenstille. Die Stimmung ist angespannt. Irgendetwas liegt in der Luft. Das wissen auch die heutigen Zuschauer aus Deutschland.
Bewaffnet mit Stirnlampen, Kameras und Lonely-Planet-Reiseführern sitzen die schaulustigen Touristen nur wenige Meter von Addis entfernt, der wie ein Popstar seinen Platz auf der Bühne eingenommen hat. Nur ist Addis kein Popstar, sondern ein äthiopischer Hirte und seine Bühne die trockene Halbwüste Harars. Und dann passiert es: ein paar leuchtende, runde Augenpaare blitzen in der Dunkelheit auf. Sie reflektieren das Licht der Stirnlampen des deutschen Publikums. Langsam sondern sich Schatten aus dem pechschwarzen Hintergrund ab und fünf höllenhundähnliche Gestalten treten leise und unauffällig aus der Nacht hervor. Ihre wuchtigen Köpfe sind gesenkt, die Augen schielen ab und zu nach oben. Schrittweise kommen sie auf ihren Pfoten angeschlichen und nähern sich Addis, der mittlerweile lässig eine Knochenkeule in seiner Hand hält. Blut tropft von dem rohen Fleisch auf den staubigen Boden. Ein Dutzend Menschen verfolgen nun aufmerksam mit Videokameras und Fotoapparaten die Bewegungen der seltsamen Geschöpfe. Den Schwanz zwischen den Hinterbeinen eingeklemmt und die Ohren gespitzt, starren die gefleckten Kreaturen ihr menschliches Gegenüber mit boshaftem Blick an. Keine Spur von Schüchternheit vor Paparazzi.
Die Gier ist ein Luder und in diesem Fall eine rund siebzig Kilogramm schwere Tüpfelhyäne. Geschwind schnappt sie nach Addis’ Keule und versenkt ihre Zähne im toten Fleisch. Die Paparazzi johlen auf. Ein Blitzlichtgewitter folgt. Die Hyäne schreckt nicht zurück, sondern hoppelt, den Knochen im Maul, eilig im Rückwärtsgang davon. Nach ein paar Metern verschlingt sie die Beute hastig, um dann erneut ein Stück zu ergattern. So geht es einige Male hin und her.
Eifersüchtige Hunde
Mittlerweile sind ein Dutzend Hyänen eingetroffen. Ruhig und gelangweilt nimmt Addis fließbandmäßig ein Stück nach dem anderen aus dem Topf und füttert die domestizierten Wildtiere wie ein Dompteur von Hand. Später, sehr zur Befriedigung der Zuseher, sogar von Mund zu Mund. Eifersüchtig brummen die verstummten Hunde und beobachten vorsichtig, ein Auge auf den Feind gerichtet, das bizarre Spektakel. Seelenruhig stolzieren die sichtlich zufriedenen Hyänen an ihnen vorbei. Ihr Auftritt ist eine Provokation.
Schließlich werden auch die Touristen selbst dazu aufgerufen, einer nach dem anderen Teil dieser surrealen Begegnung zwischen Mensch und Tier zu werden – ganz wie es der Lonely-Planet-Reiseführer vorhergesagt hat. Während es für die meisten ausländischen Gäste dennoch nach Abenteuer schreit, gesellen sich gleichgültig ein paar Harari dazu und beobachten distanziert den allabendlichen Fütterungsprozess. Dass sich Addis tagtäglich aufs Neue zum Clown für die Touristen macht, hat anscheinend einen traditionellen Hintergrund. Der Legende nach wurden Hyänen früher regelmäßig von Harars Bewohnern gefüttert, damit sie nachts keine Tiere reißen oder gar schlafende Menschen attackieren. Immerhin können Hyänen mit ihrem kräftigen Gebiss Elefantenknochen durchbeißen.
Harar, heilige Stadt
Obwohl jahrhundertelang unabhängig, entwickelte sich Harar zu einem Zentrum streng islamischer Wissenschaft. Die „heilige Stadt“ vereint heute eine große Konzentration islamischer Heiligtümer. Mehrere hundert, teilweise sogar aus dem 10. Jahrhundert stammende Moscheen, Gräber und Sufischreine verehrter lokaler Heiliger schmücken die Altstadt innerhalb ihrer mächtigen Mauern. Nicht nur für äthiopische Muslime gilt Harar daher als eines der einflussreichsten und wichtigsten spirituellen Zentren des Islams weltweit. Für Europäer blieben Harars Tore bis zur Angliederung an Äthiopien unter Kaiser Menelik II. verschlossen. Der Ruf der verbotenen und geheimnisvollen Stadt wird heute vor allem als Tourismus-Slogan verwendet – erfolgreich. Doch mit dem Öffnen seiner Pforten und dem Eintreten der ausländischen Gäste sollten sich einige Dinge in dem isolierten Stadtstaat verändern.
„Zweimal jährlich findet die Fütterung auch als Zukunftsorakel statt“, meint Dawid, einer der gelangweilten Hararis, und zieht an seiner selbst gedrehten Zigarette. Der Begeisterung über Mozart lässt der 21-Jährige nicht nur über sein T-Shirt freien Lauf, auf dem die Noten zur Kleinen Nachtmusik zu lesen sind. „Klar machen wir das hier für die Touristen“, pflichtet er bei, „die Hyänen sind die Attraktion in Harar. Touristen bringen Geld und schaffen Arbeitsplätze.“ Leider auch Korruption und Dreistigkeit. Im zeitigen Morgengrauen, als Nebel noch die Stadt umgibt und Marathonläufer in Gruppen bereits ihr Training aufgenommen haben, umringen unzählige Menschen am Busbahnhof die eintrudelnden Busse. Touristguides, Gepäckträger und Besserwisser stürzen sich auf die Neuankömmlinge, wie ausgehungerte Hyänen auf ein Stück totes Fleisch. Die Szene erinnert an Addis’ Abendvorstellung. „Da wird gefeilscht und gelogen, nur um ein paar Dollar rauszuholen“, meint Dawid. „Eine Fahrt mit der Rikscha die Straße hinauf kostet dann schon mal sechs Dollar. Auch wenn du dich auf den Kopf stellst.“ Die Hyänen kennen das Ritual natürlich auch und spielen gerne mit. Gehorsam folgen sie Addis’ Lauten. Schließlich gibt es umsonst ein Fressen ohne jegliche Arbeit. Einige Hyänen kichern. Es ist ein sabberndes zufriedenes Lachen, als ob sie die Touristen verhöhnen wollten.
ADDIS, Der Hyänenmann
Ist das Spiel mit den Raubtieren Mut, Leichtsinn oder Dummheit? „Nichts davon!“, versichert Addis später entschuldigend. „Ich lebe einfach davon. Es ist gutes und schnelles Geld.“ Und damit ist er nicht alleine. Über zwanzig „Hyänenmänner“ soll es mittlerweile in Harar geben. Gefahr sieht Addis keine in den Jägern. „Die kennen mich doch und sind das Theater schon gewohnt. Sie würden es nie wagen, mich in irgendeiner Form zu attackieren“, sagt er selbstsicher. Über die Sicherheit der Touristen verliert der Hyänenmann kein Wort.
Harars Hyänen sind nicht nur reine Objekte der touristischen Begierde und dienen der Unterhaltung, sondern sie haben seit eh und je eine Aufgabe und gehören genauso zum Inventar des Stadtbildes wie seine Bewohner. Nachts, wenn die sieben mächtigen Holztore verschlossen sind, kriechen die Tiere durch Löcher in der gewaltigen Mauer und verschaffen sich so Zugang zu Jegol, dem Kern der Stadt. Auf der Suche nach essbaren Abfällen durchstreifen die Hyänen die dicht bebauten, engen und verwinkelten Gassen der farbenfrohen Altstadt, wie Labormäuse in einem Labyrinth. Diese Löcher wurden bereits zweckgemäß vor Hunderten von Jahren von den Stadtbewohnern gebohrt. Als „Müllmänner“ reinigen die Aasfresser Harar nicht nur von Abfällen, sondern vor allem auch vom Geruch. Auch außerhalb der Stadtmauer zanken sich jede Nacht Hyänen um Essensreste. Noch vor Sonnenaufgang, zeitgleich mit dem Morgengebet des Muezzin, kämpfen drei Hyänen am roterdigen Fußballplatz um den Inhalt einer großen orangenen Mülltonne: einen ganzen Kamelkopf.
Nachdem auch der letzte Happen verputzt und die Fütterung vorbei ist, verschwinden die Hyänen wieder in der kalten, kargen Steppe Harars. Knapp eine Stunde dauert die Vorstellung, ehe abgerechnet wird. Fünfzig Äthiopische Birr pro Zuschauer, umgerechnet drei Euro, verlangt Addis. Viel Geld für Äthiopier und anscheinend auch für die Gäste aus Deutschland. Sie streiten über den Preis, weil es keinen Gruppenrabatt gibt. Gezahlt wird trotzdem, denn nichts ist umsonst. Und wo gibt es denn noch solche urwüchsigen Shows, außer im Zoo vielleicht?
Kopfnickend als Zeichen seines Dankes nimmt Addis das Geld entgegen und steckt es in die Brusttasche seines zerschlissenen Hemdes. Den leeren Kübel in seiner linken Hand haltend, verschwindet der Hyänenmann ebenfalls in der Dunkelheit.