: Russisches Ränkespiel
STREIT Die Rhythmische Sportgymnastik wird durch einen Skandal erschüttert. Den Beschuldigten stehen mächtige Helfer zur Seite
Die russischen Gymnastinnen sind die besten der Welt. Ganz gleich, ob es um Beweglichkeit, Virtuosität oder Gerätetechnik geht, Russland gibt den Standard vor. Gerade hat die Russin Jana Kudrjawzewa die Weltmeisterschaft in Kiew gewonnen, sechs von neun Titeln gingen an Russland. Es war eine besondere WM, denn der Turn-Weltverband (FIG) hatte aufgrund von Manipulationen bei Kampfrichterkursen im Juli das Technische Komitee suspendiert und alle Lizenzen für ungültig erklärt. Zuletzt kam ein Berufungsgericht zu dem Schluss, dass den 16 beschuldigten Kampfrichterinnen, darunter sechs russische, der Betrug nicht nachzuweisen sei. Sie wurden freigesprochen.
Einige Tage vor Beginn der WM geschah dann etwas Überraschendes. Eine PR-Agentur als „Vertreter einiger beschuldigter und dann freigesprochener Kampfrichterinnen“ schaltete sich ein. RLM Finsbury, laut Homepage ein „weltweit führendes Unternehmen in strategischer Kommunikation“ informierte alle Medien, die über den Betrugsskandal berichtet hatten, es gäbe neue Entwicklungen. Unter den mitgelieferten Dokumenten befand sich auch ein offener Brief der Kampfrichterinnen, in dem es unter anderem heißt, die Rhytmische Sportgymnastik (RSG) habe „Zehntausende Kinder vor der Straße, den Drogen und der Prostitution“ gerettet. Klingt interessant. Gleich drei Mitarbeiterinnen von Finsbury, allesamt mit wohlklingenden russischen Namen, kümmern sich seitdem hoch professionell um die Medienbetreuung. Im Angebot haben sie auch die Russin Natalia Kuzmina, Präsidentin des Technischen Komitees, die bis Ende 2014 suspendiert ist. Ein Interview mit ihr wird aus dem Londoner Finsbury-Büro als Telefonkonferenz organisiert.
Kuzmina beantwortet alle Fragen zu den Erkenntnissen der Disziplinarkommission. Zu dem einen Punkt allerdings kann sie nichts sagen, ein zweiter sei „so schlicht nicht wahr“, einen dritten habe man selber „falsch interpretiert“. Zu ihrer Suspendierung sagt Kuzmina: „Ich war sehr schockiert.“ Das Komitee halte sich für unschuldig. Man bereite sich auf einen „konstruktiven Dialog mit der FIG-Führung“ vor. Offenbar hat es in Kiew, wo Kuzmina nur zuschauen durfte, während die Deutsche Isabell Sawade als Präsidentin der Jury fungierte, Gespräche mit der Verbandsführung gegeben. Eine weitere Eskalation der Auseinandersetzung liegt nicht im Interesse von Präsident Bruno Grandi, der die Vorgänge selbst öffentlich gemacht und als „Kochtopf voller Lügen“ bezeichnet hatte. Den offenen Brief der Kampfrichterinnen nennt Kuzmina einen „Aufschrei der Seelen“. Sie fühlt sich diskreditiert, ihr ganzes Leben habe sie der RSG gewidmet, unter anderem als Cheftrainerin der UdSSR.
Zurück zur russischen Dominanz. Grandi hatte gesagt, die Dominanz eines Landes sei „schlecht für den Sport“. Er hat die vom IOC geforderte Universalität im Blick. „Die RSG stammt aus Russland, aus St. Petersburg“, erklärt Kuzmina. Es werde professionell gearbeitet und es gibt ein unendliches Reservoir an willigen Mädchen. Zudem würde in Novogorsk, dem russischen Trainingszentrum, Gymnastinnen und Trainern aus der ganzen Welt geholfen. „Ich glaube, dass ist der Weg zur Universalität.“
Die Sportart braucht grundlegende Reformen. Für den Weltverband ist die Situation allerdings heikel. Professionelle PR-Kampagnen gibt es hier nicht, nur Pressemitteilungen. Und zwei der drei mit der Sportgymnastik betrauten PR-Mitarbeiterinnen von Finsbury firmierten in diesem Jahr übrigens auch als Sprecherinnen von Alisher Usmanov. Usmanov ist einer der reichsten Oligarchen Russlands, Miteigentümer vom FC Arsenal und Weltverbandspräsident der Fechter. Er ist der Gatte von Irina Viner. Viner ist die Cheftrainerin der RSG in Russland. Ein Beziehungsgeflecht, das durchaus seine Schlagkraft hat.SANDRA SCHMIDT