: Stimmen einer müden Stadt
Eine Generation, die ihre Gefühle stets mit wirtschaftlichen Widrigkeiten und politischen Unstimmigkeiten abgleichen muss: Benito Zambranos vibrierender Musikfilm „Havanna Blues“ erzählt von zwei jungen Musikern, denen es auf Kuba zu eng wird
VON ROBERTO GONZALEZ*
Auf Kuba kam Benito Zambranos „Havanna Blues“ beim Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films zur Aufführung, das im vergangenen Dezember in Havanna stattfand. Die spanisch-französisch-kubanische Koproduktion über zwei junge Männer, die im internationalen Musikgeschäft Fuß zu fassen versuchen, begeisterte das Publikum in der randvollen Sala Charles Chaplin. Als der Abspann des Filmes anfing, erhoben sich die Zuschauer und applaudierten mehrere Minuten lang – bis der letzte Ton des großartigen Soundtracks verklungen war.
Zambrano hat seinen Film Kuba gewidmet, „dieser verrückten und wundervollen Insel“. Der ist er verbunden, seit er an der Filmhochschule von San Antonio de los Baños studiert hat. Für das kubanische Filmschaffen stellt „Havanna Blues“ ein Paradox dar. Denn er erschließt das Genre des Musikfilms neu, und zwar aus der Perspektive eines Ausländers – Zambrano ist Spanier. Obwohl die populäre Musik auf Kuba eine große Bedeutung genießt, spielt das Genre des Musikfilms kaum eine Rolle, da es vom Kanon des revolutionären Kinos 47 Jahre lang an den Rand gedrängt wurde. Zambrano gelingt es nun, das Musical zu „kubanisieren“, ohne dass er dabei die Vorgaben des Genres vernachlässigte. Genauso wenig gibt sich „Havanna Blues“ der Nostalgie und dem Hang zum Sittengemälde hin, der dem prä-revolutionären Kino eigen war.
Zambranos Film hält sich stattdessen an das Vorbild des realistischen Musicals, dem sich Regisseure wie Bob Fosse oder Alan Parker verschreiben. Wie so oft in diesem Genre besteht der Handlungsrahmen darin, dass ein Auftritt, ein Konzert, eine große Show vorbereitet werden. In „Havanna Blues“ ist dies das erste Konzert der zwei jungen Musiker Ruy (Alberto Joel García) und Tito (Roberto San Martín). Bald scheint für die beiden die Möglichkeit auf, einen Vertrag mit einer spanischen Plattenfirma abzuschließen. Ab diesem Augenblick steht für die beiden jungen Männer mehr als nur das Konzert in Havanna auf dem Spiel. Von nun an müssen sich Ruy, Tito und die übrigen Musiker damit auseinander setzen, wie sie mit den Forderungen der spanischen Produzenten umgehen. Der Vertrag, der ihnen angeboten wird, sieht nämlich vor, dass die jungen Kubaner, sobald sie in Spanien sind, für längere Zeit Lohnsklaven der Firma sind. Und nicht nur das: Eine „Miami Connection“ sieht vor, dass sie den Exilkubanern in den USA in die Hände arbeiten.
Proben und Vorspiele säumen diese Reise ins Herz des kubanischen Musik-Underground. Ein breites Panorama aus Hip-Hop, Rap, Heavy Metal und Pop entfaltet sich – das Panorama einer Wirklichkeit, in der der Widerspruch gleichbedeutend mit dem Selbstausschluss ist, in der der verbrauchten Rhetorik der Kulturfunktionäre eine Absage erteilt wird, in der sich Hellsichtigkeit mit Bitterkeit mischt und Leidenschaft mit dem Unbehagen einer Generation, die unentwegt damit konfrontiert ist, ihre Gefühle und ihre Würde mit den wirtschaftlichen Widrigkeiten und den politischen Unstimmigkeiten abzugleichen, die das Leben auf Kuba trüben.
Und natürlich gibt es viel Musik. Vibrierende, fabelhafte Melodien von X-Alfonso, Kelvis Ochoa und anderen Künstlern, deren Präsenz „Havanna Blues“ fast die Qualität eines Zeitzeugnisses verleiht. Und wie es der Titel des Filmes nahe legt, hat die Musik jene bittersüße Note, die Leere, Begegnungen zur Unzeit und Abschied hinterlassen.
So entsteht eine Art chorischer Ode an die Stadt Havanna und deren Bewohner (eine geläufige Metapher für die kubanische Nation, wie sie auch in vielen einheimischen Produktionen verwendet wird). Der Alltag in der Stadt wird von der Kamera eingefangen; man erlebt sie in ihrem langsamen, ganz und gar nicht glamourösen Treiben, mit ihren Narben, den ruinösen Gebäuden, den kalkzerfressenen Straßen und in den Nächten, in denen nur die Silhouetten geisterhafter Passanten auszumachen sind. Es sind dies die am meisten inspirierten Szenen des Filmes. Die Bilder werden flankiert von wütenden und heterodoxen Texten, in denen sich das persönliche Drama der Protagonisten zum kollektiven Schmerz weitet. Wenn etwa Ruy und seine Frau Caridad (Yailene Sierra) ihre Freunde einladen, um ihre Trennung bekannt zu geben, folgt darauf eine Melodie, in der die Untröstlichkeit Ruys in die Traurigkeit der nächtlichen, leeren, verlassenen Stadt übergeht: „Es ist deine einsame Seele / die Stimme dieser müden Stadt (…) Wie nur sollen wir kämpfen gegen diese Sonne / gegen die Politik und gegen Gott?“
Es fällt nicht schwer, „Havanna Blues“ als Allegorie auf die Schwierigkeiten zu begreifen, die Kubaner erleben, wenn sie nach beruflicher Verwirklichung streben. Im Schicksal von Ruy, Tito und Caridad kommt zusammen, was das Leben auf Kuba ausmacht: der ermüdende Kampf, sich über Wasser zu halten, die Illegalität, das Chaos in der Arbeitswelt, die Erfahrung der Diaspora, die Familien auseinander reißt, die Entwertung der Politik und das Aufkommen eines billigen Nationalismus. Aber auch vom Unternehmungsgeist und der Hartnäckigkeit der Kubaner erfährt man einiges, genauso wie vom ausbeuterischen Handel mit künstlerischem Talent: Europa, opportunistisch und skrupellos, wendet noch heute die alte Kolonialtechnik der Enteignung an und kuscht überdies vor der US-amerikanischen Übermacht – vor einer Übermacht, die für jeden Handel mit dem „kubanischen Feind“ einen politischen Tribut verlangt.
Man könnte eine leichte Unebenmäßigkeit in der Darstellung bemängeln: Alberto Joel García ist als verantwortungsloser Ehemann, vorbildlicher Vater und unbestechlicher Musiker Ruy nicht immer auf der Höhe mit Roberto San Martín, der den pragmatischen Tito gibt. Roberto San Martín ist ganz hervorragend ist in der Rolle desjenigen, der fest entschlossen ist, die Welt zu erobern, die ihn auf der anderen Seite des Atlantiks erwartet. Auch reicht Alberto Joel García nicht immer an die bewegende Darbietung von Yailene Sierra in der Rolle Caridads heran.
Doch die Frische und die Kraft der Figuren sind so groß, dass „Havanna Blues“ in bester Erinnerung bleibt: als einer der lebendigsten und erstaunlicherweise auch optimistischsten Blicke, die das Kino unserer Tage auf Kuba wirft.
*Roberto González ist das Pseudonym eines in Havanna lebenden Filmkritikers. Seinen Text übersetzt haben Mauricio Lob de la Carrera und Cristina Nord
„Havanna Blues“, Regie: Benito Zambrano. Mit Roberto San Martín, Yailene Sierra, Alberto Joel García u. a. Spanien/Kuba/Frankreich 2005, 110 Min.