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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Bin ich auf dem totalen Holzweg?“

15 Jahre lang hat Adem Mahmutoglu in Bremerhaven Platten verkauft. Jetzt zieht er mit seinem Laden um: nach BerlinPERIPHERIE ODER ZENTRUM Als Adem Mahmutoglu einen Plattenladen übernahm, hatte die CD längst die Schallplatte verdrängt. Als es sein Umfeld in die Metropolen zog, blieb er in Bremerhaven – aus Prinzip. Jetzt geht er nach Berlin. Ein Gespräch über den unhinterfragten Sog in die Hauptstadt und die Verbundenheit mit der Heimat

Adem Mahmutoglu, 37

wurde im türkischen Rize am Schwarzen Meer geboren und kam 1976 als Dreijähriger nach Deutschland. In Bremerhaven lebt er, seit er zwölf ist.

■ arbeitete ab Mitte der 1990er Jahre im Bremerhavener Plattenladen „Graffiti“, den er 2000 übernahm.

■ spielt bei den Bands „Faruk Green“ und „Edwyn Tokyo“. Unter dem Pseudonym Jeff Özdemir bringt er tanzbaren Elektro-Soul heraus.

■ betreibt das Label „33rpm records“ und eröffnet nun den „33rpm Store“ in der Wrangelstraße in Berlin-Kreuzberg.

INTERVIEW RUBEN DONSBACH UND LENA KAISER

taz: Herr Mahmutoglu, sind Sie das letzte Schaf, das, wenn auch ein wenig widerwillig, der Herde hinterherläuft?

Adem Mahmutoglu: So fühle ich mich ein bisschen, ja.

Warum haben Sie ausgerechnet in Bremerhaven über zehn Jahre einen Plattenladen betrieben?

„Graffiti“ war in Bremerhaven schon legendär, als ich dort Ende der 1980er Jahre mit meinen Freunden Punk- und Hardcore-Platten kaufte. Als Mitte der 1990er Jahre der damalige Besitzer Wolfgang Kalkstein erkannte, dass Media Markt und die CD der Vinyl-Schallplatte den Garaus machen könnte, stand der Laden zum Verkauf. Ein Bekannter übernahm ihn, ich beteiligte mich schließlich daran. Seit 2000 führe ich den Laden allein.

Sie sind also ausgerechnet in einer denkbar schwierigen Situation eingestiegen.

Je mehr Leute um mich herum ab Mitte der 1990er Jahre gesagt haben: „Bloß weg aus Bremerhaven!“, desto mehr hat sich für mich so ein Schutzschild um die Stadt gehüllt. Ich dachte mir: Das ist so eine Art Sorgenkind, für das man sich engagieren muss. Die Entscheidung nach Berlin zu gehen fühlt sich auch ganz schön verrätermäßig an.

Wen verraten Sie denn?

Wenn alle sagen: „Hier geht nichts“ und schließlich weggehen, dann ist das ein Teufelskreis. Einem 17-, 18-Jährigen muss kulturell etwas geboten werden, was er nicht bei YouTube sehen oder in der Zeitung lesen, sondern echt erleben kann. Man kann sich doch nicht vom Zeitgeist und irgendwelchen Videos erzählen lassen, wie ein gutes Leben aussieht. Bei mir war das noch anders. Es gab da dieses Kulturzentrum „Roter Sand“, in dem regelmäßig Konzerte veranstaltet wurden. Die haben wahrscheinlich auf die kleine Szene in Bremerhaven so gewirkt wie das „Kraftwerk“-Konzert in Detroit auf jene Leute, die kurz danach angefangen haben, Techno in die Welt zu bringen. Und wie willst du heute 17 Jahre alt sein und so etwas Geiles geboten kriegen, wenn die Leute, die so was machen könnten, einfach nach Berlin gehen?

Wer kam denn so alles zu Ihnen?

Es gab schon einige, die sich hier getroffen haben, um dann gemeinsam größere Projekte anzuschieben. Für Bremerhavens Musikszene war der Laden sicher wichtig.

Und dazu gibt es heute nichts Vergleichbares mehr?

Ich empfinde das so. Es ist zur Mode geworden, direkt nach dem Abi wegzugehen. Bremerhaven ist davon schwerwiegend betroffen, die Leute tummeln sich alle in Berlin oder Hamburg.

Und wie sind Ihnen gegenüber all die ehemaligen Bremerhavener aufgetreten?

Von denen kam sehr oft der Spruch: „Das ist echt die letzte Bastion, cool, dass du die Flagge hochhältst.“ Von einigen wurde ich auch belächelt, weil ich immer noch da war – klebengeblieben. Auch wenn das Positive meistens überwog, gab es Punkte, an denen ich mich gefragt habe: „Bin ich auf dem totalen Holzweg?“ Der Mensch ist ein Gruppentier. Wenn alle sagen: „Was willst du hier? Ich kriege voll die Depressionen, wenn ich hier bin“, dann kann ich diese Perspektivlosigkeit nachempfinden. Das geht nicht spurlos an mir vorbei. Ich bin sensibel für Äußerungen, die in diese Richtung gehen. Wenn ich am Deich stehe, ist es für mich total vorbelastet. Ich gebe zu, dass ich in diesem Punkt beeinflusst bin. Sich irgendwo unwohl zu fühlen ist eine Sache, die einem indoktriniert wird.

Wie reagieren die Leute hier darauf, dass Sie jetzt auch nach Berlin gehen?

Gemischt. Zum Teil melancholisch – auch die, die gar nicht mehr in Bremerhaven sind. Die haben mich viel mehr mit der Stadt in Verbindung gebracht als ich mich selbst.

Sie sprachen von der Musikszene, die sich um den Laden herum entwickelt hat.

Für uns ist Bremerhaven halt so ein Ort gewesen, an dem wir in Ruhe an unseren eigenen Sachen arbeiten konnten. Wir haben da damals viel darüber diskutiert, dass es viel geiler ist, in so einer abgeschiedenen Stadt zu sein, als vielleicht in Hamburg. Aus unserer Perspektive, und das kann falsch sein, kam uns das so vor, als würden dort alle so schafsherdenmäßig von einem Hype zum nächsten wandern. Nach einem halben Jahr hieß es: „Acid-Jazz darfst du nicht mehr hören.“ Man nimmt was, schlachtet es aus, trampelt drauf rum. Nichts bleibt übrig, es muss sofort was Neues her. Wenn man in dieser Szene nicht zu sehr drin steckt, fällt einem so etwas auf. Das ist der äußere Blick auf Dinge.

Sie sprechen sich dafür aus, dass das kreative Potenzial auch in den Regionen bleiben sollte, um dort Impulse zu setzen. Aber Sie lehnen Berlin deswegen auch nicht ab.

Nein, strikt dagegen zu sein, wäre lächerlich. Ich habe nur den Eindruck, dass es kaum gebürtige Berliner gibt, sondern sich alle dort getroffen haben. Als wäre die Stadt eine einzige Party-Jugendherberge.

Das Internet macht es möglich, von überall aus Platten oder was auch immer zu verkaufen. Dennoch dieser Drang in die Metropole …

Das Internet kann ja nicht das echte Leben ersetzen. Das Bedürfnis nach authentischer Kommunikation ist sehr groß. Direkt mit Leuten zu sprechen, auch in einem Plattenladen, macht Leute glücklich. Trotz aller Möglichkeiten bleibt im virtuellen Raum eben viel auf der Strecke. Und so verkümmert die Kommunikation.

Mussten Sie also nach Berlin gehen, weil die, die sonst in Ihren Laden gekommen sind, nun dort leben?

Dass das jetzt nur noch in Berlin geht, wäre vielleicht etwas viel gesagt. Aber die Tendenz gibt es schon.

Jetzt umzuziehen ist ja auch die Entscheidung für ein Lebensmodell, gegen das Sie sich zuvor immer gewandt haben.

Das stimmt und ich weiß, dass auch ich ein gewisses Loch hinterlasse. Ich weiß nicht, wie vielen Leuten das in Bremerhaven weh tut. Vielleicht gibt es auch Leute, die froh sind. Die sich denken: „Endlich ist der Typ weg, der da bei sonnigem Wetter immer vor seinem Laden sitzt – wir sind hier doch nicht in Berlin!“ Das ist keine Entscheidung, hinter der ich hundertprozentig stehe. Von mir aus können die Leute auch alle wieder zurück in ihre Städte gehen. Ohne diese ganzen Capppuccino trinkenden und Brille tragenden Leute wäre Berlin eine Stadt wie Bielefeld.

Der Vorsitzende des Kunstvereins in Bremerhaven, Jürgen Wesseler, hat einmal gesagt, Provinz sei nur da, wo man sie auch zulasse.

Ja, dem stimme ich vollständig zu. Zumal es äußerst fraglich ist, wer eigentlich bestimmt, was Provinz ist.

Was stört Sie daran?

Das Wort klingt, als würde da etwas fehlen. Als gäbe es da irgendetwas weniger. Wenn so viele gute und engagierte Leute nach Berlin gehen, geht die Rechnung jedenfalls nicht auf. Das ist dann eben der Teufelskreis. Der Mangel entsteht ja erst, wenn die Leute weggehen. Ein Freund hat einmal gesagt: „In Berlin bekommt man den Eindruck, als wäre aus jedem Dorf der Coolste hier.“ Und das führt ja erst dazu, dass irgendwo derjenige fehlt, der den Leuten etwas zeigen kann.

Ziehen Sie am Ende etwa nach Berlin, um ein Anwalt für die Bremerhavener Sache zu sein?

Vielleicht kann ich hier ja auch ein paar Bremerhaven-Flyer verteilen … . Im Ernst, so wie ich mich kenne, werde ich bestimmt nicht müde, Leute darauf aufmerksam zu machen, dass sie nicht nur an ihre eigene Scheiße denken sollten. Das ist auch eine Danksagung an die Leute, die mir in Bremerhaven ermöglicht haben, etwas Neues kennen zu lernen. Was bringt es, eine gute Zeit zu haben, wenn man weiß, woanders geht’s den Bach runter? Ich bin aber auch kein Samaritertyp und selbst egoistisch genug. Aber diese „Nach mir die Sintflut“-Mentalität schockiert mich.