zwischen den rillen
: Nah dran am Heiligen Gral

Wer hat’s denn nun erfunden? Die Compilations „Big Apple Rappin‘ “ und „Cellulloid Years“ erzählen aus der Hiphop-Frühgeschichte

Der Spaß soll zwei Millionen Dollar kosten. So viel Geld will das Smithsonian Institute an Spenden auftreiben, um am Museum of American History in Washington eine ständige Sammlung zur Hiphop-Kultur einzurichten. Im Sommer wird eine erste Ausstellung gezeigt, Leihgaben kommen von der Rap-Prominenz: Bestickte Jacken mit dem Logo von Afrika Bambaataa, Grandmaster Flashs Turntable-Equipment oder das Cover zu Ice-Ts LP „Home Invasion“, das von Warner Brothers 1993 nicht herausgebracht wurde, weil es zu gewalttätig war, und stattdessen beim Independent-Label Rhyme Syndicate Records erschien.

Heute macht sich der comicartig als mordgieriger Dämon gezeichnete Ice-T gut als museales Schmuckstück der amerikanischen Erfolgsgeschichte namens Hiphop. Einzig Russell Simmons kann sich laut Washington Post mit der Historisierung nicht recht anfreunden: „Mein erster Gedanke war: Die Party ist vorbei.“ Deshalb hat er dem Smithsonian Institute bloß ein läppisches Poster seines ehemaligen Labels Def Jam geschenkt. Der Musik- und Urban-Fashion-Millionär will nicht beteiligt sein am Ausverkauf der Bewegung.

Mindestens genauso einleuchtend sind noch ganz andere Bedenken. Warum ausgerechnet Washington? Wieso wird ein solches Museum, wenn schon, dann nicht wenigstens in New York eingerichtet? Schließlich weiß mittlerweile jedes Kind, dass Rap in der Bronx entstanden ist. Oder war es nicht vielleicht doch während einer Blockparty in Brooklyn? Auf einer Rollerskate-Bahn in Harlem? Oder an irgendeiner Straßenecke in Queens? Wie bei so vielen Mythen sind auch im Hiphop die Ursprünge einigermaßen verschüttet. Wer einen Mitschnitt vom Battle zwischen Cold Crush und Fantastic 5 besitzt, ist König; und wer das allererste Mix-Tape von DJ Kool Herc ausgräbt, wird Papst.

Insofern sind die fleißigen Archivare von Soul Jazz Records mit ihrer Kompilation „Big Apple Rappin’ “ ziemlich nah dran am Holy Grail. Sie haben nicht nur Spoonin Gees 1979er-Fassung des erst ein Jahr danach auf Sugarhill Records erschienenen „Spoonin' Rap“ wiederveröffentlicht, sondern mit Brother Ds „How we gonna make the black nation rise?“ auch den Blueprint des Politraps – „educate, educate, organize“ – ausfindig gemacht. Das klingt nach unnützem Geheimwissen, ist aber für die Musikentwicklung nicht unerheblich, geht es doch in der Chronologie des Rap wie bei jeder Style-Revolution um Monate, Tage, Stunden. Zudem legt „Big Apple Rappin' “ Wert auf eine Verbindung, die in der üblichen Ahnenfolge von Breaks und Transformer-Scratches oft ausgeklammert wird. Hier führt der Weg zum Hiphop über Reggae, das sind die Soul-Jazz-Leute wohl auch ihrer Vorliebe für Studio-One-Produktionen schuldig. Tatsächlich haben sie mit Lister Hewan-Lowe und Glen Adams zwei aus Jamaika stammende Produzenten aufgespürt, die in New York zum Rap konvertierten. Wer will, kann in der schiebenden Bassline zu T-Sky Valleys „Catch the beat“ Spuren der Dancehall-Vergangenheit heraushören.

Glaubt man dagegen den Ausführungen im Booklet zu der ebenfalls gerade veröffentlichten CD-Retrospektive „The Celluloid Years“, ging es am Anfang von Hiphop darum, Disco und Punk auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Auch für diesen Zusammenhang gibt es Belege: Der Graffiti-Künstler Futura 2000 hat sein Debüt mit den Clash eingespielt, und bei Afrika Bambaataas „World Destruction“ war John Lydon als rotten singender Quälgeist zu Gast.

Gleichwohl merkt man vielen der knapp zwei Dutzend 12-Inch-Produktionen an, dass sie mehr in Richtung Artschool als auf die Tanzfläche schielen. Kein Wunder, war doch Celluloid-Gründer Jean Karakos schon im Paris der Sechziger mit seinem BYG-Label in Sachen Free Jazz unterwegs. Zwischen 1983 und 1984 sorgte dann der Bassist Bill Laswell für das No-Wave-Crossover: Er holte Jalal von den Last Poets ins Studio, ließ ihn Lyrics über „Mean Machines“ oder anderes kapitalistisches Teufelswerk reimen und unterlegte den Track mit einer modisch blechern hallenden Beatbox, bevor Grandmaster D.ST das Ergebnis noch einmal am Mischpult durch die Mangel drehten durfte. Von den hoppelnden Schüttelreimen des frühen Hiphop war dieses Cut-up-Gesamtkunstwerk weit entfernt; dafür fand Herbie Hancock Gefallen an dem Electro-Expressionismus: Wenig später nahm er mit D.ST „Rock it“ auf, den Rest der Legende kennt man von MTV.

Und wer hat's nun erfunden? Immerhin, ein Datum ist einschlägig bekannt. Nachdem am 14. Juli 1977 während des großen New Yorker Stromausfalls vor allem Elektronikgeschäfte geplündert worden waren, schossen in den Wochen darauf Sound Systems wie Pilze aus der Nachbarschaft. In der Bronx, in Queens und in Brooklyn. Es braucht eben ausreichend Waffen, für jede Revolution. HARALD FRICKE

„Big Apple Rappin' “ (Soul Jazz Records/Indigo); „The Celluloid Years“ (Collision/Groove Attack)