: „Sonderabgaben für Energiefresser“
Rohstoffe und Energien müssen effektiver genutzt werden. Nur so lässt sich die Ressourcen- und Klimafalle vermeiden. Die Entwicklung effizienterer Technologien macht aber auch wirtschaftlich Sinn, sagt der Klimaexperte Hermann Ott
taz: Herr Ott, ist Ihnen die Koalition von CDU und SPD antikapitalistisch genug?
Hermann Ott: Warum sollte Sie antikapitalistisch sein?
Weil im Kapitalismus Wirtschaftswachstum stets mit wachsendem Energieverbrauch gekoppelt ist. Ihr Institut fordert aber, den Energieverbrauch zu senken.
Die Menschheit kommt aus der Rohstoff- und Klimafalle tatsächlich nur heraus, wenn sie im Einklang mit der Erde wirtschaften lernt. Das bedeutet, möglichst in Kreisläufen zu denken und sehr viel sparsamer und effizienter mit Energie umzugehen. Dass das gelingen kann, sehen wir seit Jahren in den hochindustrialisierten Ländern Westeuropas und in Japan. In Deutschland zum Beispiel ist der Energieverbrauch in den letzten zehn Jahren nahezu konstant geblieben – trotz Wirtschaftswachstum.
Schwarz-Rot hat sich jetzt auf die Fahnen geschrieben, den Energieverbrauch drastisch zu senken. Ist das ein Paradigmenwechsel?
So hoch würde ich nicht gleich greifen: Seit Jahren ist – selbst in der Politik – unumstritten, dass mehr Effizienz Ziel von wirtschaftspolitischem Handeln sein muss. Einerseits verringert das die Abhängigkeiten von Rohstoffmärkten, die in den kommenden Jahren dramatische Kostensteigerungen erfahren werden. Andererseits bringt der effizientere Einsatz von Rohstoffen den Produzenten auch einen Kostenvorteil.
Der marginal ist: Leute zu entlassen, bringt wesentlich mehr Produktionskostensenkung als Strom zu sparen.
Noch. Tatsächlich macht die Stromrechnung momentan oft nicht mehr als 3 Prozent der Produktionskosten aus. Aber schon, wer Erdöl als Rohstoff einsetzen muss, gibt 30 Prozent seiner Kosten dafür aus. Und das wird natürlich steigen.
Gut, warum hat ausgerechnet Schwarz-Rot Effizienz als Politikziel entdeckt?
Ganz einfach: weil die rot-grünen Vorgänger dort nicht so viel erreicht haben wie notwendig ist.
Immerhin hat die Regierung von Kanzler Schröder als erste eine ökologische Steuerreform auf den Weg gebracht, die Rohstoffe verteuert. Was gibt es daran auszusetzen?
Tatsächlich ist diese Steuerreform vorausschauende Politik: Wenn Energie sich in zehn Jahren dramatisch verteuert, wird das zu großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen führen. Wer heute Energie mit langen Perspektiven und moderaten Schritten verteuert, gibt der Wirtschaft die Chance, sich für die kommenden Verwerfungen zu rüsten. Insofern gibt es an der Ökosteuer tatsächlich nur eines auszusetzen: dass sie nicht fortgeschrieben wurde.
Schwarz-Rot will dafür die Mehrwertsteuer anheben. Was bringt es, den Mehrwert höher zu versteuern?
Faktisch ist doch der fiskalische Effekt der gleiche wie bei der Ökosteuer: Die Regierung senkt auf diese Art die Lohnnebenkosten. Gesellschaftlich aber ist das ungerecht: Von der Ökosteuer waren in erster Linie die betroffen, die viele Rohstoffe verbrauchen. Von der Mehrwertsteuer sind alle gleichermaßen betroffen, egal ob sie viel oder wenig Energie verbrauchen – also egal ob sie arm oder reich sind.
Jetzt will Schwarz-Rot beides: mehr Wirtschaftswachstum und weniger Rohstoffverbrauch. Das geht nur durch eine Steigerung der Effizienz. Wie kann die gelingen?
In der Tat eine spannende Frage: Windradhersteller haben eine Lobby, und sich vor Solarzellen fotografieren zu lassen, gilt in der Politik inzwischen als sexy. Weniger Energie zu verbrauchen hat aber weder Lobby noch Charme. Zudem kann sich Energieeffizienz schlecht als eigener Wirtschaftszweig entwickeln: Da gibt es kaum was, das patentierbar ist oder verkauft werden kann. Wege und Mittel zu mehr Ressourceneffizienz sind allen bekannt.
Was also ist zu tun?
Die große Koalition wird das Ziel, 15 Prozent Energie durch Effizienz zu sparen, nur durch ambitionierte Rahmenbedingungen erreichen. Das Gebäudesanierungsprogramm, dass mit 1,4 Milliarden Euro jährlich ausgestattet werden soll, ist ein ganz guter Anfang. Mehr aber auch nicht. Das Wuppertal-Institut hat deshalb einen Effizienzfonds vorgeschlagen: Für alle energiefressenden Geräte müssen die Hersteller einige Cent Sonderabgabe entrichten. Erstens heißt das, dass sich Effizienz auf Herstellerseite rechnet. Zweitens bekommt man so Geld zusammen, um Effizienztechnologien zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Wir haben ungeheure Potenziale, deren Nutzung stimuliert werden muss.
Am Montag trifft sich im Kanzleramt der Energiegipfel. Kennt die Politik die Vorschläge ihres Instituts?
Das schon. Aber zu diesem Gipfel wurden keine Vertreter der Effizienztechnologien eingeladen. Das ist, als würde man in eine löchrige Badewanne Wasser laufen lassen in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann füllt.
INTERVIEW: NICK REIMER
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