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Archiv-Artikel

Obamas Finger ist vom Abzug

DIPLOMATIE Die USA schalten blitzschnell von „Angriff“ auf „Verhandlung“ um. Syrien will über seine chemischen Waffen verhandeln

Berlin reagiert vorsichtig

■ Die Bundesregierung hat die neue Wendung im Syrien-Konflikt mit Vorsicht begrüßt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte den Vorschlag „interessant“. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sah eine „neue Chance für eine politische Lösung“. Notwendig seien aber „entschiedene, vertrauensbildende Maßnahmen“ aus Damaskus, sagte er. Es dürfe „nicht auf Zeit gespielt werden“.

■ Westerwelle hält eine deutsche Beteiligung an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen für möglich. „Wir haben bei der Vernichtung von Chemiewaffen erhebliche Erfahrung und auch entsprechende Programme“, sagte er.

■ Westerwelle betonte, dass weiter nach den Verantwortlichen für den mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz im August gesucht und gegebenenfalls der internationale Strafgerichtshof eingeschaltet werden müsste. (dpa, afp)

VON ANDREAS ZUMACH UND BERND PICKERT

GENF/BERLIN taz | Sechs Fernsehinterviews hatte Obama für Montag geplant, in der Nacht zum Mittwoch sollte eine Ansprache an die Nation folgen – allesamt dazu konzipiert, die öffentliche Zustimmung zu den geplanten Militärschlägen zu erhöhen, über die der Senat eigentlich in dieser, das Repräsentantenhaus in der kommenden Woche abstimmen wollte.

Am Dienstag allerdings stimmte Syrien der russischen Forderung zu, seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen und letztlich zu vernichten. Das sagte der syrische Ministerpräsident Wael al-Halki im staatlichen Fernsehen.

Angesichts der neuen Lage ist die für Mittwoch im US-Senat vorgesehene Probeabstimmung zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Der US-Militärschlag wird, wenn überhaupt, deutlich später stattfinden als ursprünglich geplant. In den Interviews warb Obama dennoch für eine Zustimmung zu seinen Plänen – immerhin habe offensichtlich nur die Androhung eines US-amerikanischen Militärschlags ein Einlenken bewirkt. Jetzt gelte es, diesen Druck aufrechtzuerhalten. Für eine Autorisierung militärischer Gewalt warb im US-Senat auch Außenminister John Kerry, fast, als wenn nichts gewesen wäre.

Über die Idee einer internationalen Kontrolle von Syriens Chemiewaffen und ihrer nachfolgenden Zerstörung hat die US-Regierung nach Angaben des US-Präsidenten schon „seit einiger Zeit“ immer wieder hinter den Kulissen mit Russland diskutiert. Im Fernsehsender PBS sagte Obama, er habe das Thema zuletzt am Freitag vergangener Woche während des knapp 30-minütigen vertraulichen Gesprächs mit Putin am Rande des G-20 Gipfels in St. Petersburg besprochen. Auf Fox News sagte er, zum ersten Mal habe er schon im vergangenen Jahr beim G-20-Gipfel in Mexiko mit Putin darüber geredet.

Die in St. Petersburg öffentlich von beiden Präsidenten vorgetragene harte Kontroverse um die geplanten US-amerikanischen Militärschlagspläne gegen Syrien verdeckte zudem, dass sich Moskau und Washington auch in einer anderen wesentlichen Frage angenähert haben: Die Obama-Regierung hat ihre erstmals im April 2012 erhobene ultimative Forderung nach einem Rücktritt Assads aufgegeben. Über die Frage, ob Syriens Präsident noch ein Verhandlungspartner für die dortige Opposition sein könne oder gar eine Rolle in einer grundsätzlich bereits vereinbarten Übergangsregierung spielen dürfe, war die erste Genfer Syrienkonferenz der UNO Ende Juni letzten Jahres gescheitert.

Die neue Haltung Washingtons versteckte US-Außenminister John Kerry bei seiner Pressekonferenz am Montag in dem Satz, die geplanten Militärschläge sollten „dazu beitragen, Assad an den Verhandlungstisch zu zwingen“. Im Gegenzug stimmte Russland zu, dass bei einer zweiten Genfer Syrienkonferenz neben der Bildung einer Übergangsregierung auch die Abschaffung des Präsidialsystems in Syrien vereinbart wird sowie die Durchführung baldiger, von der UNO überwachter Parlamentswahlen. In deren Ergebnis wäre das Assad-Regime spätestens Geschichte.

Eine solche Lösung entspräche einem trotz aller harten Gegensätze gemeinsamen übergreifenden Interesse Russlands und der USA: Beide wollen verhindern, dass die derzeitige Zentralgewalt in Damaskus ersatzlos verschwindet, Syrien territorial zerfällt und Teile seines Staatsgebietes unter die Kontrolle islamistischer, al-Qaida-naher Gruppen geraten.

Dieses Worst-Case-Szenario würde gar zum Alptraum, wenn sich bis zu 1.000 Tonnen Chemiewaffen auf syrischem Boden befänden. Deswegen hat die Aufspürung, Kontrolle und anschließende Beseitigung dieser C-Waffen für Washington und Moskau oberste Priorität. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will dem UN-Sicherheitsrat ein Konzept zur Vernichtung der syrischen Arsenale vorschlagen. Danach solle der Rat Zonen in dem Bürgerkriegsland schaffen, in denen die Waffen gelagert und dann unschädlich gemacht werden können. Ralf Trapp, jahrelanger Mitarbeiter der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), sagte, die Vernichtung sei ein komplizierter Prozess.

Zunächst müssten die Bestände von Spezialisten in Zwischenlager transportiert werden. Eine anschließende Zerstörung von Giftgasen und Munition sei nur in Spezialanlagen möglich. Diese Anlagen müssten außerhalb Syriens entworfen und dann in Syrien selbst zusammengesetzt werden. Danach käme es schließlich zu einer Testphase. Die Beseitigung des gesamten Arsenals, das insgesamt auf mehr als 1.000 Tonnen geschätzt wird, würde nicht nur mehrere Jahre dauern, sondern auch die volle Kooperation der syrischen Regierung erfordern, sagte der Direktor der Nichtregierungsorganisation Arms Control Association, Daryl Kimball, am Dienstag: „Es ist für mich schwer vorstellbar, wie das inmitten eines Bürgerkriegs geschehen soll.“

Nach Russland haben inzwischen auch China und der Iran die Initiative begrüßt. Aus Israel hingegen wurde die Nachricht mit Misstrauen kommentiert: Man müsse sehr aufpassen, dass es sich dabei nicht um eine Finte handle, hieß es aus Regierungskreisen. Staatspräsident Schimon Peres sagte am Montagabend, Assads Regime habe „bewiesen, dass es unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig ist“.

Unterdessen hat Frankreichs Regierung angekündigt, noch am Dienstag einen neuen Resolutionsentwurf in den UN-Sicherheitsrat einzubringen, in dem gemäß Kapitel 7 der UN-Charta und damit unter Androhung von Gewalt gefordert werde, dass die Regierung in Damaskus „umgehend“ ihr Chemiewaffenprogramm offenlegen müsse. Über die Umsetzung dieser Verpflichtungen solle die Organisation für das Verbot chemischer Waffen wachen. Zudem solle durch die Resolution der Giftgasangriff vom 21. August in Syrien verurteilt und eine Bestrafung der Verantwortlichen gefordert werden, sagte Außenminister Laurent Fabius.