: Frisch serviert vom Krisenherd
Über Agrarpolitik von oben und Widerstand von unten – anlässlich des Internationalen Aktionstages für Ernährungssouveränität und Landrechte von La Via Campesina am 17. April 2010
„Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet“, so lautete Jean Zieglers eindringliche Botschaft zum G-8-Gipfel in Heiligendamm. Der Sonderberichterstatter der UNO bezog sich damit auf den World Food Report, nach dem über 12 Milliarden Menschen problemlos ernährt werden könnten. Das Wörtchen „könnten“ muss hier leider, wie so oft, betont werden, denn die Realität sieht anders aus: „Heute gibt es über eine Milliarde Hungernde. Im Namen von Wachstum und Fortschritt werden immer mehr Menschen von ihrem Land vertrieben und ihre Lebensgrundlagen zerstört“, empört sich Herbert. Der 33-Jährige ist Aktivist beim Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft.
„Das Aktionsnetzwerk hatte sich anlässlich des G-8-Gipfels in Heiligendamm gegründet“, erinnert sich Herbert. Als „lockerer“ Zusammenschluss von AktivistInnen, Initiativen und NGOs bereiten sie nun seit 4 Jahren auch immer zum internationalen Aktionstag am 17. April Veranstaltungen vor.
Das Thema globale Landwirtschaft hat viele Facetten. Es geht um Hunger und Gentechnik, um Umweltschutz und Landvertreibung und um große Agrarkonzerne und kleinbäuerliche Landwirtschaft. „Ein roter Faden, der sich durch die Veranstaltungen rund um den 17. April zieht, ist das Konzept der ‚Ernährungssouveränität‘ von La Via Campesina“, erklärt Herbert. Das Konzept fasst die politischen Forderungen von La Via Campesina zusammen – einer weltweiten Bewegung von Kleinbauern, Landlosen und LandarbeiterInnen, die ca. 200 Millionen Mitglieder hat. Mit „Ernährungssouveränität“ verbindet die Bewegung Forderungen nach einer gerechten und rechtlich gesicherten Landverteilung sowie den Erhalt und die Förderung kleinbäuerlicher Strukturen. Es geht um den Zugang zu den produktiven Ressourcen wie Boden und Saatgut und darum, dass die Bauern und Bäuerinnen selber bestimmen können, was und wie sie anbauen. Auch fairer Handel ist eine Forderung, aber die Produktion für den lokalen Markt steht eindeutig im Vordergrund. Zugleich wird sich mit dem Konzept für eine ökologische und nachhaltige Landwirtschaft eingesetzt. In Deutschland werden die Forderungen von La Via Campesina vor allem von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), vom Aktionsnetzwerk und entwicklungspolitischen NGOs vertreten.
„Der Weltagrarbericht von 2008 belegt, dass die Umsetzung der ‚Ernährungssouveränität‘ eine deutliche Verbesserung darstellen würde“, meint Linda. Auch die 35-Jährige ist im Aktionsnetzwerk aktiv. Sie sieht vor allem die industrielle Landwirtschaft und die großen Agrarkonzerne als Probleme an: „Immer mehr Land befindet sich in den Händen von wenigen supergroßen transnationalen Agrar-, Saatgut-, Biotech- und Handelskonzernen. Die bauen ihre Profite immer weiter aus, während die Qualität der Nahrungsmittel immer schlechter wird und der Hunger in der Welt anwächst“, fasst Linda ihre Kritik zusammen und erklärt, dass La Via Campesina deshalb in diesem Jahr dazu aufrufe, am 17. April die Praktiken der multinationalen Konzerne anzuprangern.
Was das mit uns zu tun hat, erklärt Herbert: „Wir sind einfach jeden Tag mit unserem Konsum von Lebensmitteln damit verbunden. Nehmen wir zum Beispiel im globalen Süden die Vertreibung der ländlichen Bevölkerung von ihrem Land. Diese findet auch deswegen statt, weil es bei uns einen Bedarf an billigem Soja- und Palmöl gibt.“ – „Und Land, Wasser und Luft werden auch bei uns durch Agrarchemikalien verseucht“, macht Linda auf die ökologischen Folgen aufmerksam.
Gifte im Essen und im Trinkwasser: spätestens wenn man das diesjährige Motto „Frisch serviert vom Krisenherd“ auf die eigene Ernährung bezieht, stellt sich auch auf der Sonnenseite der Globalisierung eine direkte Betroffenheit ein. Wichtig ist dem Aktionsnetzwerk aber insgesamt mehr Bewusstsein für die Fragen: Wo kommt unser Essen her, wie wird es produziert und wer produziert es? Wen diese Fragen auch interessieren, dem seien die Veranstaltungen zum Aktionstag empfohlen. JAL
Veranstaltungsreihe:
■ Täglich bis zum 17. 4. Ausstellung „Europa überrollt Afrikas Kleinbauern“ im Regenbogen-Café (Lausitzer Str. 22) Öffnungszeiten der Ausstellung: Mo 13–22 Uhr, Di–Sa 10–22 Uhr, So 10–18 Uhr
■ 14. 4. „Indien: ‚We’ll never give up‘“, Filmvorführung im Bandito Rosso (Lottumstr. 10a) 19–21 Uhr
■ 16. 4. „Afrikas Land im Ausverkauf: Ernährungssicherheit oder Agrarkolonialismus?“ Vortrag, Diskussion, Essen, Musik im Acud Kantina (Veteranenstr. 21) 19 Uhr
■ 17. 4. „Kaufen Sie ein Stück Land an der Sonne!“ Straßenaktion mit Theater am Potsdamer Platz, an der Ampeluhr, 10.30 Uhr
■ 17. 4. Gartenfest: „Ton, Steine, Gärten“ trifft „La Via Campesina“, Pflanzaktion, Ausstellung, Diskussion in den Bethaniengärten am Bethaniendamm (Mariannenplatz 1a) 14–18 Uhr
■ 19. 4. „Lobbyismus und Agrarpolitik“,. Vortrag und Diskussion im Café Morgenrot (Kastanienallee 85) 19 Uhr
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