: Bischof vermisst Erbarmen
Härtefallkommission in Niedersachsen: Kirchen stellen Bedingungen, bevor sie an dem Gremium für Grenzfälle des Asylrechts teilnehmen. Experten befürchten ein „Alibi-Gremium“
von Kai Schöneberg
„Einen gewissen Lernprozess“ stellt Stefan Keßler bei der Niedersachsen-CDU fest. Allerdings seien die Vorschläge, die die Fraktion für die Einrichtung einer Härtefallkommission auf den Tisch gelegt hat, „so restriktiv, dass nichts als ein Alibi-Gremium bleibt. Wenn das umgesetzt wird, können echte Härtefälle gar nicht erfasst werden“, sagt der Asyl-Experte vom Jesuitischen Flüchtlingsdienst in Berlin.
Keßler muss es wissen: Er hat die bestehenden Härtefallgremien in inzwischen 13 Bundesländern eingehend analysiert. Selbst die Bestimmungen in den CDU-regierten Ländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen seien flüchtlingsfreundlicher als die Pläne der niedersächsischen CDU: „Während in Niedersachsen allein erziehende Mütter oder Behinderte gar nicht erst zur Kommission vorgelassen werden, weil sie meist von öffentlichen Geldern unterstützt werden, ist das in diesen Ländern sehr wohl möglich“, sagt Keßler.
In Niedersachsen bearbeitet zurzeit der Petitionsausschuss Grenzfälle des Asylrechts. Dass das CDU- und FDP-dominierte Gremium stets nach dem Gusto des abschiebefreudigen Innenministers Uwe Schünemann (CDU) entschied, hatte nicht nur bei SPD und Grünen für harsche Kritik gesorgt. Also plädierte die Fraktion in der vergangenen Woche dafür, das Problem aus der Politik auszulagern: In eine Härtefallkommission, in der nach Vorstellungen Schünemanns Kirchen, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Kommunen vertreten sein sollen.
Auch himmlischen Segen dazu bekam Schünemann gestern nicht. Vielmehr vermisste der Braunschweiger Bischof Friedrich Weber die „theologische Kategorie des Erbarmens“ in der Asylpolitik des Landes. Unverblümt stellte der mächtige Ratschef der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen Forderungen, wie die Arbeit der Kommission auszusehen habe. „Bevor wir uns definitiv äußern, ob wir mitarbeiten, warten wir die Verordnung des Innenministeriums ab“, sagte Weber. „Der Kanal“, den die CDU vorgegeben habe, sei ja „relativ eng gefasst“.
Dass die CDU Flüchtlinge, die falsche Angaben über ihre Herkunft gemacht haben, gar nicht erst zulassen will, findet der Bischof falsch. „Aus dem Deutschen Reich wäre 1939 auch niemand herausgekommen, wenn er sich an Passbestimmungen gehalten hätte“, sagte Weber. Man müsse nicht „päpstlicher als der Papst“ sein. Viele Flüchtlinge lebten mit ungeklärter Identität in Deutschland. Viel zu „vage“ sei die Bestimmung, dass Flüchtlinge, die „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begangen hätten, nicht als Härtefall gelten sollen.
„Grundsätzlich schwierig“ findet der Bischof auch den CDU-Vorschlag, Flüchtlinge von der Kommission auszuschließen, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Personen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus erhielten meist keine Arbeitserlaubnis und seien so auf Sozialhilfe angewiesen. Ein Teufelskreis. „Diese Regelung schließt faktisch etwa neun von zehn Flüchtlingen aus“, sagt Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat – und weist darauf hin, dass so zudem weder Traumatisierte noch Kranke vor die Kommission gelangen könnten.
„Abenteuerlich“ findet Frank Ahrens, Migrationsexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dass als Teilnehmer der Kommission auch die Gewerkschaften vorgesehen sind. Wie Bischof Weber plädiert Ahrens dafür, Gruppen zu beteiligen, die sich explizit mit der Asylproblematik befassen – etwa den Flüchtlingsrat. Dem wiederum hatte die Landesregierung zuletzt Mittel gekürzt.
Ein Sprecher Schünemanns betonte, noch seien die Kommissions-Regelungen und -Teilnehmer gar nicht klar. Klar ist nur, dass sein Minister Mitglied der CDU-Arbeitsgruppe war, die die Kriterien erarbeitet hat.