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Archiv-Artikel

Zu ironisch für einen Rockstar

Mit „Frag die richtigen Leute“, seinem zweiten Album, empfiehlt sich Winson als Bänkelsänger der Patchworkexistenz

Winson hat ein Buch gelesen. Es heißt „Der schnelle Weg zum Nr. 1 Hit“ und wurde geschrieben von dem unter kritischem Getöse aus dem Musikgeschäft abgetretenen Pop-Duo The KLF. Aber hat er auch was daraus gelernt? „Ja“, grinst Winson durch seinen Dreitagebart, „wenn man eine gute Platte machen will, dann muss man arbeitslos sein.“

Glaubt man an diese Weisheit, dann kann „Frag die richtigen Leute!“, das zweite Werk von Markus Daniel Jürgen Winson nicht so wahnsinnig gut geworden sein. Denn seit zwei Jahren, seit seinem Debütalbum „So sah die Zukunft aus“, war Winson alles andere als arbeitslos. Nicht nur mit Auftritten, Interviews und der eigenen Musik, sondern auch als Moderator beim Radiosender Motor FM. Zu seinen Schichten als Kellner in der Ankerklause kommt er schon eine ganze Weile ebenso wenig wie zu den Jobs als Tonassistent beim Film. Auch im Fernsehen als Gastgeber von MTVs „Rockzone“ ist er nicht mehr zu bewundern, aber momentan häufen sich trotzdem die Tage, „an denen ich 14, 16 Stunden arbeiten muss“.

Zum Glück haben Künstler nicht immer Recht, wenn es um ihr eigenes Schaffen geht. „Frag die richtigen Leute!“ ist ein prima Album geworden, wenn auch vielleicht nicht das Album, das man von Winson nach seinen beiden kleinen, aber feinen Hits „Wovon lebt eigentlich Peter?“ und „Liebeskummer is’ Luxus“ erwartet hätte. „Ich wollte nicht noch einmal eine Low-Fi-Platte machen“, erzählt er, „diesmal sollte die Musik größer klingen.“

Außerdem stand nach dem relativen Erfolg des Vorgängers ein dickerer Vorschuss zur Verfügung, und der floss auch komplett in die Produktion. Es blieb noch nicht mal etwas übrig für einen Nachfolger der Trucker-Kappe – Winsons Markenzeichen, das er irgendwann in einem Hotelzimmer vergessen hatte.

Als Vorbilder gibt Winson gern Ween und Trio an. Wenn beim Debüt der Schwerpunkt auf Trio lag, hat er sich nun Richtung Ween verschoben: Winson klingt nicht mehr wie ein Kreuzberger Spinner, der Rockstar werden möchte, sondern wie ein Kreuzberger Spinner, der zwar eine klasse Rockband im Rücken hat, aber leider viel zu ironisch ist, um jemals Rockstar werden zu können.

Entstand das erste Album noch zum großen Teil am Computer, fand diesmal nur die Vorproduktion in Winsons digitalem Kämmerchen statt, bevor es mit der kompletten Live-Band ins Studio ging. Zu hören ist nun eindeutig, dass der Elektropunk der Vergangenheit angehört und der 31-Jährige „momentan eher Bock auf akustische Signale“ hat: Es gibt immer wieder Rock ’n’ Roll, natürlich Punkrock, die eine oder andere Ballade, einen Song im Reggae-Rhythmus, eine Ahnung Funk, ein wenig Northern Soul. Nova International singen Background, Olli Schulz macht ein paar Witze, und der legendäre J. Mascis hat ein gewohnt kreischendes Gitarrensolo beigesteuert. Winson räumt auch selbst ein, dass seine Platte dem Hörer „als roten Faden nur den kleinen Winson“ anzubieten hat und dass das nicht unbedingt „so optimal ist für den Endverbraucher“.

Anzuhören ist dem Album jedenfalls, dass sein Urheber verhindern wollte, noch einmal in die Kiste zu den Neue-Deutsche-Welle-Revivalisten gesteckt zu werden. Die Fans von „Wovon lebt eigentlich Peter?“ müssen auf weitere Ausflüge des in Frankfurt aufgewachsenen Winson ins Berlinerische verzichten. Den Geist der Hauptstadt allerdings, den hat Winson in seinen neun Jahren hier längst verinnerlicht: Wohl niemand sonst repräsentiert in Leben und Werk momentan so realitätsnah die in Bezirken wie Kreuzberg oder Friedrichshain zuhauf umherwuselnden Patchwork-Existenzen.

Denen hat Winson nicht nur mit „Nie mehr schlafen“ eine Hymne geschrieben, die das anstrengende Leben zwischen Kreativität und Hartz IV feiert. Er trifft auch ansonsten exakt jenen Tonfall, der ihn qualifiziert als Bänkelsänger von Alternativ-Berlin. „Das ist in der Gegend nun mal eine allgegenwärtige Problematik“, sagt er, „dass die Leute zwar alle viele Jobs haben, aber trotzdem kein Geld auf dem Konto.“ Aber jeder und jede, verspricht er, wirklich alle, werden irgendwann belohnt werden für ihr Entbehrungen. Auch Winson selbst? „Ja klar, ich krieg viel Geld und eine neue Freundin.“ Der Nummer-eins-Hit wäre da nur mehr Dreingabe.

THOMAS WINKLER

Winson: „Frag die richtigen Leute“(V2/Rough Trade)