: Müllofen verbrennt Millionen
Der Regionalverband Ruhr will eine neue Müllverbrennungsanlage bauen – und riskiert eine Millionen-Pleite. Trotz Zweifeln wird heute unter Ausschluss der Öffentlichkeit entschieden
AUS ESSEN DAVID SCHRAVEN
Heute soll das Ruhrparlament über das wichtigste Bauprojekt des Regionalverbands Ruhr entscheiden – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und damit ohne Zeugen. Es geht um den Bau der Müllverbrennungsanlage RZR II in Herten, ein 169 Millionen Euro teures Vorhaben des verbandseigenen Müllkonzerns AGR. Wenn das waghalsige Projekt fehlschlägt, steht die AGR vor der Pleite. Für den Regionalverband Ruhr (RVR) wäre das katastrophal. Die Schäden müssten alle Bürger im Revier bezahlen. Es geht um mindestens 300 Millionen Euro.
Ohne Zeugen lässt sich die Wahrheit manipulieren. Am Donnerstag verkündete AGR-Geschäftsführer Dietrich Freudenberger (SPD) nach einer Sitzung des ebenfalls geheim tagenden RVR-Vorstandes den „Durchbruch“. Es hieß, der Vorstand habe die Müllöfen abgenickt. Wenig später ließ RVR-Direktor Heinz-Dieter Klink (SPD) über seinen Pressesprecher verbreiten, die Entscheidung sei „einstimmig“ gefallen.
Das Gegenteil ist wahr. Der Landrat des Kreises Recklinghausen, Jochen Welt (SPD), beschwerte sich schriftlich über die Desinformations-Kampagne – genau wie die Vorsitzenden der Fraktionen von Linkspartei und FDP. „Es kam überhaupt nicht zu einer Abstimmung.“ Stattdessen wurde heftig über den Sinn des Vorhabens diskutiert. Ein grünes Mitglied des Vorstandes sagte nachher auf dem Flur: „Mir ist schlecht.“
Die Risiken lassen sich auf einen Punkt konzentrieren. Damit sich die Müllverbrennungsanlage trägt, verlangt die AGR Müllpreise in Höhe von rund 130 Euro je Tonne. Allerdings gehen Fachleute davon aus, dass die Kosten der Müllbeseitigung ab 2009 wieder unter 100 Euro fällt. Selbst Bürgschaften für langfristige Lieferverträge können den Preisverfall nicht stoppen, wie die Erfahrung etwa beim Oberhausener Müllofen zeigt. Das RZR II, und damit die AGR, wäre unmittelbar von der Pleite bedroht.
Und da kommt die Landesbank Baden-Württemberg ins Spiel. Das Geldhaus hat umfangreiche Sicherheiten für einen Kredit zum Bau des RZR II in Höhe von 100 Millionen Euro verlangt. Sollte die AGR die Kreditraten nicht zahlen können, gehören die Hertener Abfallbrenner den Süddeutschen. „Damit wäre das Müllproblem des Schwarzwaldes gelöst“, sagte ein hoher Mitarbeiter der NRW-Umweltministeriums. Er sieht deshalb das wahre Interesse der Bank nicht im Gelingen, sondern im Scheitern des Projektes. „Die Ländlebanker können rechnen.“
Bislang werden die Abgeordneten von CDU und SPD beruhigt. Es gebe genug Geld. Ihre Fraktionsvorsitzenden, Martina Schmück-Glock (SPD) und Roland Mitschke (CDU), sitzen im Aufsichtsrat der AGR. Zum Beweis werden die 360-Millionen-Euro Rückstellungen für die Deponiesicherung angeführt. Doch das ist Augenwischerei – bei den Rückstellungen handelt es sich um reines Buchgeld. Laut AGR-Chef Freudenberger stehen den Rückstellungen im Jahr 2009 nur noch rund 29 Millionen Euro Bargeld gegenüber. Geht nur eine Sache schief, ist das Bargeld futsch –und ohne Bargeld ist jede Firma pleite.
Letztlich lassen sich verlässliche Aussagen über die Finanzlage der AGR nur anhand der Bilanzen treffen. Doch das will die AGR offenbar nicht. Die Firma bricht Gesetze und legt eine Konzernbilanz für 2004 nicht vor. Fragen der FDP-Fraktion zum Finanzstand bleiben unbeantwortet. Die Abgeordneten sollen ihre Entscheidung auf Grundlage einer unverbindlichen AGR-Vorlage treffen, in der nicht ein einziges Risiko vermerkt ist. Schlimmer noch: Bei den entscheidenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen wird in der Vorlage behauptet, dass es ab 2008 keine Preissteigerungen, Steuer- oder Lohnerhöhungen mehr gibt. Auch ohne Harvard-Abschluss ist klar: Das ist Mumpitz.
Nun bemühen sich einzelne Abgeordnete in CDU und SPD, eine Zustimmung zum Projekt in letzter Minute zu verhindern. Ihr Erfolg ist ungewiss.