: Eine Außenministerin wird belagert
Bei ihrem Aufenthalt in Großbritannien wird Condoleezza Rice von Demonstranten begleitet. In Liverpool verteidigen Beatles-Fans die Pilzköpfe vor einer Vereinnahmung durch die Besucherin aus Washington und protestieren gegen den Irakkrieg
AUS LIVERPOOL DAMIANO VALGILIO
Es war kein schönes Wochenende für US-Außenministerin Condoleezza Rice. Dabei war nur ein entspannter Höflichkeitsbesuch bei Jack Straw in Nordengland geplant, als Dankeschön für die Visite des britischen Außenministers in Rices Heimat Alabama im vergangenen Jahr. Nur bei ihrem ersten Termin am Freitag blieben die beiden Politiker unbehelligt: bei der Besichtigung der Werke des Kampfflugzeugherstellers BAE in Lancashire.
Rice wurde fast ununterbrochen von Demonstranten belagert. Ein Besuch in einer Moschee in Straws Wahlkreis Blackburn musste am Samstag sogar abgesagt werden. Die muslimische Gemeinde der Stadt hatte massive Proteste angekündigt. Vor der Plackgate High School riefen Schüler und Demonstranten: „Condi Rice, USA, wie viele Kinder hast du heute getötet?“ Schließlich leistete sich Rice einen schweren Ausrutscher und erklärte auf die Frage eines Journalisten: „Ich weiß, dass wir im Irak taktische Fehler gemacht haben, tausende, da bin ich mir sicher.“ Am Samstagabend relativierte sie diese Aussage. Sie habe die Formulierung „tausende von Fehlern“ nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinne gemeint. Schon am Flughafen von Liverpool begannen am Freitag die Probleme. Der Bürgermeister wurde nicht zur ehemaligen Sicherheitsberaterin von US-Präsident George W. Bush durchgelassen, weil sein Blumenstrauß nach Sprengstoff untersucht werden musste. Dafür überreichte der liberale Stadtratsvorsitzende Warren Bradley Rice einen Brief mit der Forderung nach Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo.
Eigentlich sollte der Besuch in Liverpool für Condoleezza Rice der Höhepunkt der dreitägigen Großbritannienreise sein. Rice ist erklärter Beatles-Fan und Konzertpianistin. Doch viele Liverpooler fürchteten wohl eine Vereinnahmung „ihrer“ Pilzköpfe. „Die Botschaft der Beatles war Frieden und Solidarität. Aber Rice ist eine Kriegstreiberin“, erklärte Mark Hold, Vorsitzender der Liverpooler „Stop the war“-Gruppe und Organisator der Proteste. Die nordostenglische Sektion des Gewerkschaftsbunds TUC verabschiedete eine Resolution gegen den Rice-Besuch. Darin heißt es gar: „Rice hat Blut an ihren Händen.“
Zu den ersten größeren Protesten kam es am Freitagnachmittag vor dem Liverpool Institute of Performing Arts (Lipa). In der von Exbeatle Paul McCartney gegründeten Musikhochschule sang ein Gospelchor für Rice. Doch als die amerikanische Ministerin eine Rede halten wollte, wurde sie von Studenten ausgebuht. Etwa zehn Jugendliche trugen T-Shirts mit der Aufschrift: „Keine Folter, nirgends“. Vor dem Gebäude sangen rund 200 Demonstranten nach der Melodie des Beatles-Song „Yellow Submarine“: „We all live in a terrorist regime.“ Lipa-Student James Dangerfield sagte: „Ich glaube nicht, dass John Lennon Rice und Straw in Liverpool haben wollte.“ Auch McCartney brüskierte Condoleezza Rice. Trotz einer Bitte der britischen Regierung traf sich der Lipa-Gründer nicht mit Rice und Straw.
Am Freitagabend versammelten sich schließlich tausende Demonstranten vor der Liverpooler Konzerthalle. Fünfzig Menschen trugen organgefarbene Overalls wie die Häftlinge in Guantánamo. Nach einer Schweigeminute wurden die Namen der 103 britischen Soldaten verlesen, die bislang im Irakkrieg gefallen sind.
Großbritannien stellt nach den USA das zweitgrößte Truppenkontingent.