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Archiv-Artikel

Für immer mit dem Meer vereint

ANONYME BESTATTUNG Die Seebestattung ist in Norddeutschland schon lange beliebt. Nicht nur, weil sie ein urwüchsiges Ritual darstellt, sondern auch, weil sie weniger kostet als die Erdbestattung. Ökologisch sauber ist sie außerdem

In Schleswig-Holstein ist die Seebestattung den anderen Formen juristisch längst gleichgestellt

VON PETRA SCHELLEN

Ob sie an ein Weiterleben nach dem Tod glauben? Viele Menschen sind skeptisch und legen sich nicht gern fest. Und mit dem diffusen Begriff „Auferstehung“, den das Christentum anbietet, können sie schon gar nichts anfangen. Dennoch – irgendeine Idee vom „Danach“ muss es geben. Sonst hätten nicht so viele Menschen klare Vorstellungen davon, wie und wo sie bestattet werden wollen. Der eine will zum Beispiel „nicht unter der Erde liegen“. Ein anderer „mit schönem Blick“.

Und das ist kein Wahn: Es beruhigt tatsächlich viele Menschen, zu wissen, wo ihre Überreste dereinst ruhen werden. „Ich will hier im Norden bleiben – am liebsten mit Blick auf die Ostsee“, sagt zum Beispiel Kai Lociks. Er ist 38 Jahre alt, war lange im kaufmännischen Bereich tätig und ist vor ein paar Jahren ins väterliche Bestattungsunternehmen in Lübeck eingestiegen. Das organisiert naturgemäß auch Seebestattungen in der Lübecker Bucht.

Nicht, dass diese Form derzeit besonders im Trend liege: „Die lagen hier an der Ostsee schon immer im Trend. Wassersportler, Ostseecamper oder Menschen, die bei der Marine gearbeitet haben, wünschen sich diese Form.“ Aber seit den 1990ern, seit die anonymen Bestattungen mehr werden, ist auch die Seebestattung salonfähiger geworden: als nicht nur preisgünstige, sondern auch ökologisch saubere Alternative zur Erdbestattung – und als Chance, den in Deutschland herrschenden Friedhofszwang zu umgehen.

Ursprünglich war die Seebestattung eine Notlösung: Seefahrer wie James Cook oder Opfer von Schiffskatastrophen wurden im Meer bestattet, weil es praktischer war, sie am Sterbeort zu bestatten und um zu vermeiden, dass sie an Land Seuchen übertrugen.

Als im 20. Jahrhundert die Feuerbestattung populär wurde, geriet auch die Seebestattung in den Blick, und seit 1934 ist die Seebestattung in Deutschland erlaubt. Damit verlor sie einerseits ihren Mythos, wurde andererseits eine frei gewählte Bestattungsform, die eher etwas über die Vorlieben des Toten aussagte als über seinen Sterbeort.

Natürlich darf das Ritual nicht überall stattfinden, sondern nur in dafür ausgewiesenen Gewässern wie Nord- und Ostsee, dem Mittelmeer und dem Atlantik. Dort wiederum nur außerhalb der Drei-Meilen-Zone; im Wattenmeer muss man sich noch weiter vom Ufer entfernen. Es dürfen auch keine Gegenden sein, in denen gefischt oder Wassersport getrieben wird. Und dort muss „rauer Grund“ sein, den das Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie eigens ausgewiesen hat.

„,Rauer Grund‘ bedeutet, dass dort Felsen sind, in denen sich die Urne verfängt“, sagt Lociks. Denn natürlich sei die Einäscherung Voraussetzung der Seebestattung. „Das überrascht viele, die sich bei uns erkundigen“, berichtet Lociks. „Sie haben wohl die alten Piratenfilme im Kopf, in denen der tote Körper in Tücher gehüllt und über Bord gegeben wird.“ Heutzutage geht das aus hygienischen und ökologischen Gründen nicht, und auch die Urnen dürfen das Meer nicht dauerhaft belasten: Sie müssen aus Muschelkalk, Pappmaché oder anderem Material bestehen, das sich binnen 24 Stunden auflöst. „Danach geht die Asche auf den Meeresboden, wird ein bisschen von der Strömung verteilt und vereint sich – das ist ja die Idee dahinter – mit dem Meer“, sagt Lociks.

Wie eine Seebestattung im einzelnen vor sich geht? Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Entweder nehmen die Angehörigen zuvor mit einer regulären Trauerfeier Abschied, sodass die Seebestattung ein kurzes, schlichtes Ritual ist. Oder aber sie zelebrieren die Seebestattung als Trauerfeier. „Wir arbeiten mit verschiedenen Reedereien zusammen, die Schiffe von drei bis 200 Personen bereitstellen können“, sagt Lociks. Die Boote sind ein bisschen geschmückt, „aber nicht geleckt, denn es ist ja ein urwüchsiges Seemanns-Ritual, und viele Angehörige wollen das auch so“, sagt Lociks.

Dann fährt das Schiff zur Bestattungsstelle, die die Angehörigen eventuell mit ausgesucht haben. Dort hält der Kapitän, manchmal auch ein Trauerredner oder Pfarrer, eine Rede, bevor die Urne an Tauen langsam ins Wasser gelassen wird. Um sie herum schwimmt ein kleiner Kranz, der die Stelle markieren soll. Beide gehen nach zehn bis 30 Sekunden unter. Das Schiff dreht alsdann eine Runde um die Stelle, die Angehörigen dürfen einzelne Blumen oder Blätter hinterherwerfen, aus ökologischen Gründen aber keine Kränze. Zum Schluss ertönt die Schiffsglocke dreimal, was im Seemannsjargon „gute Reise“ bedeutet, und das Schiff dreht ab.

Damit ist es für die Angehörigen aber nicht immer getan. „Manchen genügt es, des Verstorbenen später beim Ostsee-Spaziergang zu gedenken“, sagt Lociks. „Andere bemerken nach ein paar Monaten, dass sie einen Gedenk-Ort vermissen.“ Und genau deswegen gibt es an verschiedenen Stellen Gedenksteine – in Strucklahnungshörn auf der Nordseeinsel Nordstrand zum Beispiel und am Brodtener Ufer bei Lübeck-Travemünde.

Zudem finden jedes Jahr am 2. Sonntag im September Gedenkgottesdienste für die Seebestatteten statt – in der Dankeskirche Kiel-Holtenau und der Inselkirche St. Nicolai auf Helgoland. Darüber hinaus setze auch bei den Friedhöfen gerade ein Umdenken ein, sagt Lociks: „Einige bieten bereits Gedenksteine für Menschen an, die auf See bestattet wurden.“

Mittelfristig könnte das auch die Konkurrenz auflösen helfen, die derzeit zwischen See- und Erdbestattern herrscht. Denn natürlich ist die Seebestattung preisgünstiger als die auf dem Friedhof: Man spart ja Stein, Liegegebühren und Grabpflege.

Hinzu kommt der theologische Aspekt: Bis vor 15 Jahren, erzählt Lociks, „haben sich die Pfarrer schwergetan, mit zur Seebestattung zu fahren. Sie fanden wohl, das sei keine christliche Bestattung“. Inzwischen hat sich das gegeben, aber juristisch herrschen immer noch große Unterschiede zwischen den Bundesländern, die sich wenig überraschenderweise als Nord-Süd-Gefälle beschreiben lassen: Während in Schleswig-Holstein Seebestattung und Erdbestattung gleichwertig sind, braucht man in Hamburg einen – allerdings formlosen – Antrag. In Bayern allerdings muss man ausführlich schriftlich darlegen, warum man eine Seebestattung wünscht.

Und Lociks, wie will er bestattet werden? „Das sollen meine Angehörigen entscheiden“, sagt er. „Ich könnte mir eine Seebestattung vorstellen, aber wenn sie einen Gedenkort brauchen, kann es auch im Ruhewald sein.“