: Das personifizierte Gedächtnis
ABSCHIED Nach dreißig Jahren verlässt Archivar und Barmann Randy Kaufman die taz. Der perfekte Gastgeber und Kommunikator ist nicht zu ersetzen
VON MATHIAS BRÖCKERS
Zeitungen ohne Archiv, ohne Gedächtnis, sind nicht denkbar, und das gilt vor allem für die taz, die aus dem „Informationsdienst für unterbliebene Nachrichten“ (ID) – einem Archiv der deutschen Alternativszene – hervorgegangen ist. Zwei ID-Leute waren dann auch die Ersten, die das taten, was die an der Tageszeitung von morgen arbeitenden Redakteure und Mitarbeiter schon wieder vergessen hatten: die Artikel von gestern zu dokumentieren, sie auffindbar und verfügbar zu machen.
Das war, im Prä-Computer-Zeitalter, noch alles Zettelwirtschaft: Karteikarten, Holzkisten, Papier. Dies lief, wie alles in den Anfangsjahren der Zeitung, recht chaotisch. Bis 1983 ein junger Amerikaner, Randy Kaufman, zur taz kam. Er hatte bis dahin für das alternative Berliner Branchenbuch „Stattbuch“ gearbeitet sowie zuvor in den USA Archiv- und Bibliothekswissenschaften studiert. Er brachte nun System in das mit Schubkästen und Papier gefüllte taz-Archiv.
Doch Randy war nicht nur ein akribischer Sammler, Dokumentar und Archivar, sondern auch ein perfekter Gastgeber und Barmann, was erst nach dem Umzug in das heutige taz-Haus richtig zur Geltung kam, als er im 6. Stock „Randy’s Bar“ eröffnete. So wurde das Archiv – bis dahin nur ein Ort für eilige Recherchen – zum sozialen und kommunikativen Hotspot des gesamten Hauses. Ob informelle Besprechung oder der neueste Hausklatsch, ob ein Kaffee oder ein Joint zwischendurch, ob Geburtstags- oder Abschiedsfeier: die Bar unterm Dach war „the place to go“. Nicht nur tagsüber, wenn Randy Archiv- oder Rechercheaufträge bearbeitete und zwischendurch schnell einen Espresso braute, sondern auch nach Dienstschluss, wenn er im weißen Hemd, mit Weste und Fliege, die Gäste bewirtete.
Auch wenn mit der Eröffnung des taz-Cafés im Erdgeschoss vor einigen Jahren die Bar unterm Dach als Treffpunkt an Bedeutung verlor, ist die Tatsache, dass Randy Kaufman nun nach 30 Jahren taz in den (Teil-)Ruhestand geht, ein vielfacher Verlust. Denn mit ihm verliert die taz nicht nur einen perfekten Gastgeber und Kommunikator, sondern auch ihr personifiziertes Gedächtnis, den Menschen, der nicht nur die Geschichte des Projekts taz, sondern auch die in der Zeitung in drei Jahrzehnten wiedergegebene Weltgeschichte dokumentierte – und sie schnell verfügbar machen konnte, wenn ein Kollege oder ein Leser danach verlangte. Randy verstand es als „Amideutscher“ typisch amerikanische Freundlichkeit und Lockerheit mit typisch deutscher Genauigkeit und Ordnungsliebe kongenial zu verbinden. Eine solche Person ist nicht zu ersetzen. Er war und ist ein Solitär, höchst eigensinnig und höchst sympathisch. Wie wir über den Verlust eines solchen Schatzes hinwegkommen, wissen wir noch nicht.
Doch Randy wird auch ohne die taz noch weiter gut zu tun haben: als Experte für die deutsche Pressefotografie der 1920er Jahre oder als Protagonist vor der Kamera. Denn als gut aussehender älterer Herr wird Randy neuerdings als Fotomodell gebucht.