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Archiv-Artikel

DER HÖHENFLUG DER BÖRSE VERDANKT SICH DEM LOHNDUMPING Das Kapital gewinnt immer

Der DAX erreichte gestern die magische Marke von 6.000 Punkten. Das ist nicht selbstverständlich: Noch vor einem Jahr lag der Aktienindex bei 4.300 Punkten – und im deutschen Alltag hat sich seither nicht viel geändert. Damals wie heute fällt das Wachstum eher mäßig aus. Der Höhenflug an den deutschen Börsen wirkt daher zunächst ein wenig irrational, zumal ihn keiner der Spekulantengurus vor einem Jahr vorausgesagt hätte. Trotzdem ist der Aktienboom nicht völlig abwegig, denn auch die Gewinne der Unternehmen schossen nach oben. Die Gewinne, wohlgemerkt, nicht unbedingt die Umsätze.

Das DAX-Börsenwunder hat im Wesentlichen nur einen Grund: das deutsche Lohndumping. Wie das statistische Bundesamt – auch gestern – mitteilte, erhöhten sich die tariflichen Monatslöhne im vergangenen Jahr um ganze 1,2 Prozent, während die Inflation bei 2 Prozent lag. Wie von selbst wird der deutsche Arbeitnehmer billiger. Für die inländische Nachfrage ist das ein Problem. Doch das muss die meisten DAX-Firmen nicht kümmern, die vor allem am Export verdienen.

Sie profitieren von den niedrigen Löhnen gleich doppelt: Sie können den eigenen Gewinn maximieren und gleichzeitig auf dem Weltmarkt mit Kampfpreisen antreten. Denn in Spanien oder Italien steigen die Gehälter stärker – diese Länder müssen erleben, dass sie auf den internationalen Märkten nicht mehr konkurrenzfähig sind. Früher hätten sie ihre Währungen abgewertet, doch das ist mit dem Euro unmöglich. Langsam wird für den Euro bedrohlich, dass alle die gleiche Währung haben, aber Deutschland Lohndumping betreibt.

Es ist nicht zu erkennen, dass die Bundesregierung dieses Problem schon erkannt hätte. Sie setzt weiter auf Lohndumping, wie die dritte Nachricht von gestern verdeutlicht: Arbeitsminister Müntefering hat sich vom gesetzlichen Mindestlohn verabschiedet. Für die Börse ist das eine hübsche Nachricht. Zwar beschäftigen DAX-Firmen vor allem qualifizierte Kräfte, trotzdem ist es für sie ein Signal, dass sich das Lohngefüge nicht wesentlich ändern soll. Teilt es ihnen doch mit, dass sich am Verteilungsschlüssel nichts ändern soll: Die Gewinne gehen ans Kapital. ULRIKE HERRMANN