: Früherer Neonazi hospitiert im Bundestag
Von der NPD-Jugendorganisation ins Parlament: Ein ehemaliger JN-Bundessprecher aus Bottrop macht ein Praktikum beim SPD-Bundestagsabgeordneten Dieter Grasedieck. Der hält seinen Mitarbeiter für einen Aussteiger
BERLIN/BOTTROP taz ■ Der ehemalige Bundessprecher der NPD-Jugendorganisation geht derzeit als Praktikant im Bundestag ein und aus. Seit fünf Wochen arbeitet Oliver Westerwinter im Büro des Bottroper SPD-Bundesabgeordneten Dieter Grasedieck, morgen endet sein Praktikum. Sein Arbeitgeber hält den früheren Neonazi für geläutert, Experten bezweifeln das.
Noch vor weniger als anderthalb Jahren hatte die Staatsanwaltschaft gegen Westerwinter ermittelt. Damals war er Funktionär der Jungen Nationaldemokraten (JN) – und damit verantwortlich für den Aufruf zu einer verbotenen Demonstration gegen die neue Synagoge für Bochum. „Stoppt den Synagogenbau – 4 Millionen fürs Volk“, lautete die NPD-Forderung, die laut Bundesverfassungsgericht jüdische Bürger „in bösartiger und verächtlich machender Weise als nicht zum ‚Volk‘ gehörend“ ausgrenzt. Das war im Jahr 2004.
„Ich habe das Gefühl, dass er wirklich geläutert ist“, sagt Dieter Grasedieck über den einstigen rechtsextremen Funktionär, der inzwischen an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster studiert. „Ich habe vorher ausführlich mit dem Verfassungsschutz gesprochen“, so der Bundestagsabgeordnete zur taz. Der Geheimdienst habe Westerwinter als „Aussteiger“ empfohlen, dem man eine „zweite Chance“ geben müsse. Am Ende der Praktikumszeit sieht sich Grasedieck bestätigt. „Er ist ein exakt arbeitender Mensch, der logisch Strukturen durchdenkt“, lobt er.
Tatsächlich tritt Westerwinter inzwischen nicht mehr öffentlich für die Rechtsextremisten auf. Die Staatsanwaltschaft Bochum hat ihre Ermittlungen wegen Geringfügigkeit eingestellt, wie ein Sprecher bestätigt. Andererseits ist seine Zeit als JN-Funktionär nicht lange her. Erst 2004 hatte er in Bottrop für eine Naturschutzkampagne der JN geworben und eine „grundlegende Alternative zum maroden BRD-System und dessen ‚Umweltschutzpolitik‘“ gefordert. Motto: „Nationalismus ist Naturschutz“. Presserechtlich verantwortlich zeichnete er auch für ein undatiertes Flugblatt, in dem der Irak-Krieg als „erneuter Anschlag auf die Souveränität freier Völker“ verurteilt wurde.
Nicht ohne Grund demonstrierten Antifaschisten daher Ende 2004 in Münster gegen Westerwinter und die Burschenschaft Franconia, in deren Haus er zwischenzeitlich wohnte. Noch im Sommersemester 2005 kursierten an der dortigen Universität Flugblätter, in denen vor Westerwinter gewarnt wurde. Als Bundes- und Landessprecher der JN sei Westerwinter „maßgeblich verantwortlich für die rassistischen und menschenverachtenden Inhalte“ der Jungen Nationaldemokraten.
Rechtsextremismus-Experten zweifeln daher an der Version vom plötzlichen Ausstieg. „Oliver Westerwinter war kein Mitläufer, sondern zählte zu den ideologisch gefestigten Leuten“, sagt Jürgen Peters, Referent beim Antirassistischen Bildungsforum Rheinland (ABR). Man dürfe Aussteigern ihren Abschied von der rechtsextremen Szene nicht allzu leichtfertig abnehmen, fordert Ulli Jentsch, Mitarbeiter beim Apabiz, dem Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin. „Aussteiger gibt es in letzter Zeit relativ häufig“, sagt Jentsch. „Aber nur wenige haben sich wirklich innerlich von der Szene gelöst.“
Natürlich müsse man sich jeden Einzelfall anschauen, sagt Jentsch. Hilfreich sei aber, wenn Beweise für einen ehrlichen Ausstieg vorliegen. Etwa eine öffentliche Distanzierung. Die fehlt bei Oliver Westerwinter. Für Fragen der taz stehe er nicht zur Verfügung, ließ er über das Bundestagsbüro Grasedieck mitteilen.DIRK ECKERT