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Archiv-Artikel

Abschied vom Eishockeytempel

Die Fans der Düsseldorfer EG sangen, schrien, pfiffen den Trennungsschmerz weg

AUS DÜSSELDORFHOLGER PAULER

Das Ende wurde doch noch einmal vertagt. Die Brehmstraße, der Eishockeytempel, der magische Ort hat das letzte Gefecht noch vor sich. Durch den 6:1-Erfolg im Playoff-Halbfinale am Dienstagabend über die Kölner Haie, führt die Düsseldorfer EG in der „Best-of-Five“-Serie mit zwei zu eins Siegen. Sollte die DEG heute Abend in Köln gewinnen, steht sie im Finale gegen die Eisbären aus Berlin. Bei einer Niederlage kommt es am Sonntag gegen Köln zum Showdown an der Brehmstraße – und vielleicht auch für die Brehmstraße. „Das Stadion hat ein letztes Derby verdient“, sagt DEG-Angreifer Klaus Kathan vieldeutig. Im September dieses Jahres steht der Umzug in den ISS-Dome an der Theodorstraße an. Eine Arena für knapp 14.000 Zuschauer. Nur Sitzplätze.

Was die Liverpooler Anfield-Road für den Fußball oder die Schlacht bei Hastings für Historiker bedeutet, ist die Brehmstraße für das deutsche Eishockey. Seit 71 Jahren steht der rechteckige Betonklotz in der Düsseldorfer Innenstadt. Grau in Blau, nicht schön aber funktional. Die Haupttribüne ist an beiden Enden offen, die übrigen drei Tribünen sind zu einem gedehnten „U“ verbunden – nach dem Vorbild englischer Fußballstadien.

„Im Winter zieht es hier im Bunker wie Hechtsuppe“, sagt Otto Schneitberger. Der gebürtige Bad Tölzer kam 1964 als erster Bayer ins Rheinland. Natürlich erst, nachdem er eine einjährige Sperre abgesessen hatte. Sein Heimatverein verweigerte die Freigabe. „Ich war der Missionar.“ Die Jahre auf dem Eis und an der Bande haben tiefe Furchen im Gesicht hinterlassen. Zwischen 1967 und 1975 wurde Schneitberger drei Mal Meister mit der DEG. Als Trainer schaffte er 1986 die Vize-Meisterschaft. „Eigentlich wollte ich nur vier Jahre bleiben“, sagt er, aber dann habe ihn das Düsseldorf-Virus gepackt.

„Irgendwann gab es wohl ein vorentscheidendes Spiel gegen den SC Rießersee, welches den Mythos Brehmstraße vielleicht beschreibt“, so Schneitberger. „Ich habe damals tagsüber als Architekt gearbeitet.“ Um drei Uhr am Nachmittag sei er von der Baustelle Richtung Stadion gefahren. Abends stand ein entscheidendes Spiel an. „Plötzlich war der gesamte Brehmplatz gesperrt. Wir dachten es habe einen Unfall gegeben. Überall Menschen.“ Die Leute wollten ins Stadion. Haben dort übernachtet. Irgendwann wurden die Tore des Eisstadions eingedrückt. Tausende kamen ohne Tickets hinein. Für Otto Schneitberger war dies das prägendste Ereignis. Später wechselte er als Spieler und Trainer zum Krefelder EV. Es folgten Engagements beim Kölner EC, beim ECD Iserlohn, beim EV Duisburg und bei den Ratinger Ice Aliens.

Der DEG ist Schneitberger immer noch freundschaftlich verbunden, einen Posten übt er nicht mehr aus. Vor den Spielen hält er sich im Presseraum auf: Die Kantine verkörpert den Charme der 50er Jahre. 40 Quadratmeter. In der Mitte sind mehrere Tische zu einem Rechteck zusammengestellt an dem 20 bis 30 Leute Platz finden. Die weiß verputzten Wände sind kahl. Nur zwei Poster hängen wahllos herum. Ein altes Spielplakat und der Grundriss der neuen Arena. An der Theke schlürft Alt-Referee Jupp Kompalla seinen Kaffee. Als Spieler war er für Preußen Krefeld tätig. Ein Eisenharter Verteidiger. Später wurde er 13 mal in Folge zum Schiedsrichter des Jahres gewählt. Am Dienstag war er als offizieller Beobachter unterwegs. „Die Brehmstraße war für mich der Eishockeytempel schlechthin in Deutschland“, sagt er. Als Schiedsrichter sei er immer respektiert worden, auch wenn er mal gegen die DEG gepfiffen habe. Im September wird er an der Brehmstraße sein Abschiedsspiel leiten. Ein doppelter Abschied. „Schönen Gruß von Nicole“, ruft er Otto Schneitberger hinüber. Seine Tochter pfeift ebenfalls. Früher auch mit dem Vater. Kompalla stellt die Kaffeetasse auf die Theke und verlässt den Raum.

Die Leute hinter der Theke kochen zum Teil seit mehr als 30 Jahren den Kaffee, dazu gibt es acht Sorten Tee. Ob die Bedienung auch übernommen wird? Vielleicht an einem Stand im Stadion? „Es gibt noch keine Entscheidung, wir stehen Gewehr bei Fuß“, sagt eine älterer Herr. Das kulinarische Angebot der Brehmstraße wird es im neuen Stadion zumindest in der jetzigen Form kaum noch geben: Selbst geschmierte Mettbrötchen, Leberkäs und Altbier vom Fass – den Versorgungsengpass nehmen die Besucher gerne in Kauf, weil es so authentisch ist. Aber im neuen Dome?

„Wir wollen ja auch den Besuch genießen“, sagt ein älterer Herr mit Mantel, Designerbrille. „Ich gehe seit 30 Jahren hierhin, der Abschied tut schon weh, aber ein bisschen mehr Komfort wäre schon nicht schlecht, vor allem für meinen Rücken.“ Auf den Sitzplätzen wird der Spiegel gelesen oder die Süddeutsche Zeitung. Das Tribünen-Publikum wirkt auf den ersten Blick distanziert, teilnahmslos, um im nächsten Moment beim Bandencheck oder Torerfolg blitzschnell aufzuspringen – wie inszeniert. Gespielte Emotionen. „Viele Besucher möchten ihren Mantel an der Garderobe abgeben und nicht nach stundenlanger Parkplatzsuche auch noch frieren“, glaubt Otto Schneitberger. „Das Publikum ist ein anderes geworden.“ Zumindest auf der Haupttribüne.

Heim- und Gästefans stehen eng nebeneinander. Keine Blocktrennung. Trotz des tiefen Hasses, der Düsseldorf und Köln auch im Eishockey verbindet, bleibt alles ruhig. „Ich bin froh, dass es im Eishockey keine Rowdies gibt, wie im Fußball“, sagt Otto Schneitberger. Gibt es denn keine Gemeinsamkeiten? „Jeder hat seinen Stamm. Die DEG und die Fortuna.“ Damals als er nach Düsseldorf gekommen sei, spielte die Fortuna noch in der ersten Liga. Die Stadt konnte sich zwei Erstligisten leisten. Dennoch stand der Fußball oft im Schatten des Eishockeys – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Brehmstraße war in den 60ern und 70ern permanent ausverkauft. „Es musste schon jemand sterben, damit man eine Dauerkarte bekommt“, so Schneitberger.

Die Fans prägten die Gesänge – auch für die Fußballstadien. „DEG Superstar, Deutscher Meister in diesem Jahr“ erklang es nach der Melodie von „Jesus Christ Superstar“. Der Choral war vor allem aus englischen Stadien bekannt. In den 70ern setzte der Düsseldorfer Musiker Klaus Dinger den Fans der DEG ein Denkmal. Dinger war ein Teil des Krautrock-Duos NEU! Das gleichnamige Titelstück des Debutalbums seiner Nachfolgeband „La Düsseldorf“ beginnt mit Fangesängen aus der Brehmstraße. Underground-Rocker Julian Cope ordnete in seinem Buch „Krautrocksampler“ die Rufe den Fans des damaligen Erstligisten Fortuna Düsseldorf zu. So etwas war er nur aus Fußballstadien gewohnt. Aus britischen natürlich.

Als die DEG Anfang der 80er vor dem Konkurs stand und danach die Erfolge ausblieben, sank der Zuschauerzuspruch. Sieben- bis Achttausend waren es aber immer noch. Eine zweite Zäsur kam mit der Einführung der Deutschen-Eishockeyliga (DEL) – nach amerikanischen Vorbild. Aufstieg und Abstieg und Lizensierung wurden neu und vor allem: undurchsichtig geregelt, die Liga wurde von zehn auf 16 Vereine aufgestockt. 1996 holte die DEG die letzte von sieben Meisterschaften. Der letzte Höhepunkt. Die Fans bleiben seitdem lieber zuhause. In Düsseldorf und anderswo. Sogar das erste Halbfinale vor einer Woche gegen Köln war nicht ausverkauft. Plätze blieben leer.

Dienstag war auf einmal alles anders. Die Fans, die Spieler, die Stadt erinnern sich an ihre Wurzeln – genießen das Momentum. Sie spüren, dass die Zeit gekommen ist, noch einmal Geschichte zu schreiben. Und was das bedeutet, mussten die Kölner am Dienstag erfahren. 10.217 Fans waren gekommen. Dauersupport: 60 Minuten und mehr. Die Kölner verloren die Übersicht und die Nerven. 65 Strafminuten. Die Fans der Düsseldorfer EG sangen, schrien, pfiffen den Trennungsschmerz weg. Und die Spieler dankten es mit einer fulminanten Leistung. „So etwas gibt es nur an der Brehmstraße“, sagte DEG-Spieler Klaus Kathan hinterher.