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Archiv-Artikel

Berliner Stimmen zählen in Rom

Bei der Parlamentswahl am Sonntag dürfen Auslands-Italiener erstmals per Brief teilnehmen. 9.400 Berliner sind stimmberechtigt. Nicht alle sind glücklich über die ungewohnte Werbung im Briefkasten

VON GIUSEPPE PITRONACI

Es geht ein Rascheln durch die italienische Gemeinde in Berlin. Seit Wochen flattern bunte Faltblätter mit Politikerwerbung in die Briefkästen: Am kommenden Sonntag sind in Italien nämlich Parlamentswahlen. Dass sich italienische Politiker so sehr um ihre Landsleute außerhalb des Landes bemühen, ist neu. Denn dauerhaft im Ausland lebende Italiener haben jetzt erstmals die Möglichkeit zur Briefwahl. Bisher konnten sie ihr Kreuzchen immer nur am Wahltag machen – in der italienischen Herkunftsgemeinde. Nun hat das EU-Land auch die Welt außerhalb Italiens in Wahlkreise aufgeteilt. Einer davon ist der Wahlkreis Europa, inklusive Russland und Türkei.

Guido Ambrosino, der seit 1999 in Berlin lebt, legt einen fingerdicken Stapel mit Wahlbroschüren und gedruckten Briefen auf seinen Küchentisch. Der Berlin-Korrespondent der linken italienischen Tageszeitung Il Manifesto ist besonders von einem Heftchen gefesselt: Eine Kandidatin zeigt sich darin unter anderem mit Ministerpräsident Silvio Berlusconi höchstpersönlich. „Sie besitzt eine Nudelfabrik, Restaurants in Russland und eines in Berlin“, sagt er über die Kandidatin, die in Russland lebt. Er klingt halb fasziniert und halb empört. Und er fragt sich, wie die Absender der Wahlwerbungen an seine Adresse kamen.

Die italienischen Parteien haben in den Auslands-Wahlkreisen eigene Kandidaten aufgestellt: Italiener, die ins Ausland gegangen sind. So kommt es zum Beispiel, dass wahlberechtigte Italiener in Berlin Post bekommen von wahlkämpfenden Italienern, die in Russland oder Madrid leben. „Was verbindet mich mit einem Kandidaten in Madrid?“, fragt Guido Ambrosino. Lieber würde er die Kandidaten eines Wahlkreises in Rom mit wählen. Zu denen habe er mehr Bezug, denn er stammt aus Rom.

In Berlin sind rund 9.400 wahlberechtigte Italiener registriert. An sie schickte das Konsulat die Wahlunterlagen – automatisch. Ein Service, der im deutschen Wahlgesetz nicht vorgesehen ist. Ein Deutscher, der im Ausland wohnt und per Brief wählen will, muss die notwendigen Unterlagen erst mal beantragen. Die Italiener im Wahlkreis Europa dürfen 6 der insgesamt 630 Abgeordneten bestimmen sowie 2 von insgesamt 315 Senatoren.

Auch wenn Ambrosino das System mit den Auslandskandidaten kritisiert – es gibt Argumente dafür: Durch die eigenen Kandidaten bekommen die über 3 Millionen Auslandsitaliener zum ersten Mal eine eigene Stimme. „Das ist ein Qualitätssprung. Früher gab es für ihre Anliegen keine direkte Vertretung im Parlament“, sagte der 37-jährige Kandidat des Linksbündnisses, Alberto Sipione, in einem Interview. Er ist mit 21 Jahren aus Sizilien in die Schweiz gegangen.

Auslandsitaliener, das kann sehr Unterschiedliches bedeuten: Die einen leben seit zwei Jahren im Ausland, die anderen seit zwei Generationen. Ihre Probleme sind vielfältig: Es geht beispielsweise um Studenten, die ihre Abschlüsse anerkannt haben wollen; um Kinder, die den von Italien finanzierten Sprachunterricht brauchen; um Senioren, die zurück nach Italien wollen.

Dass es solche besonderen Probleme gibt, weiß Ambrosino. Er selbst kämpft gegen Kürzungen beim aus Italien finanzierten Sprachunterricht, den auch sein Sohn besucht. Aber er bezweifelt, dass diese Themen künftig mehr in den Blickpunkt rücken: „Niemand hat die italienischen Parteien früher gehindert, Kandidaten mit Migrationserfahrung aufzustellen. Die Parteien haben es nicht getan, weil es sie nicht interessiert hat“, sagt er leicht resigniert. Er fürchtet, dass das Interesse für die Probleme der Auslandsitaliener auch jetzt nicht steigen wird. Sein staatsbürgerliches Recht hat er aber wahrgenommen – Ambrosino hat seine Stimmzettel längst abgeschickt. Und vermutlich landete sein Kreuzchen nicht bei einer Nudelfabrikantin in Russland.