: Iraks Premier klebt an seinem Sessel
Auch vier Monate nach der Wahl hat das Land noch keine Regierung. Der bisherige Regierungschef Dschaafari besteht darauf, im Amt zu bleiben. Doch inzwischen knirscht es auch in seiner schiitischen Allianz, der stärksten Kraft im Parlament
VON KARIM EL-GAWHARY
Auch vier Monate nach den Parlamentswahlen gibt es immer noch keine Regierung im Irak. Der bisherige Ministerpräsident Ibrahim Dschaafari, der von der stärksten schiitischen Fraktion im Parlament mit nur einer Stimme Mehrheit mit der Kabinettsbildung beauftragt worden war, weigert sich zurückzutreten. „Meine Nominierung war eine demokratische Entscheidung und muss respektiert werden“, sagte er jetzt gegenüber der britischen Zeitung Guardian.
Doch Dschaafari gleicht einem belagerten Ministerpräsidenten in spe. Die USA und Großbritannien haben ihm bereits das Vertrauen entzogen. „Die Iraker haben ihre Geduld mit der Regierungsbildung verloren“, hatte US-Außenministerin Condoleezza Rice bei einer gemeinsamen Stippvisite mit ihrem Amtskollegen Jack Straw in Bagdad am Wochenende erklärt. Bei dem Treffen sei es nicht zu einem Konsens gekommen, sagte Dschaafari im Interview mit dem Guardian. „Ich habe mir ihre Positionen angehört, aber stimme ihnen nicht zu.“
Die Kurden und Sunniten, die Dschaafari bräuchte, um eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden, haben sich wiederholt gegen Dschaafari ausgesprochen. Sie werfen ihm vor, dass er es nicht geschafft hat, die ethnischen und religiösen Spannungen unter Kontrolle zu bringen.
Doch nun nimmt auch die Kritik aus Dschaafaris eigenen Reihen zu. Mit Vizepräsident Adel Abdel Mahdi meldete sich nun das bisher höchstrangige Mitglied von der schiitischen Liste „Vereinigte irakische Allianz“ zu Wort und erklärte, dass Dschaafari sich zurückziehen solle, weil er zu viel Vertrauen verloren habe. Es gebe innerhalb der schiitischen Liste einen „gewissen Widerwillen“ gegen Dschaafari als Regierungschef, sagte Mahdi. „Ich bin der Meinung, er solle verzichten.“ Gleichzeitig brachte Mahdi sich selbst als möglichen Kandidaten ins Gespräch.
Der Streit um Dschaafari stellt die Allianz vor eine Zerreißprobe. Sie muss sich auf einen Kandidaten einigen, der sowohl von Sunniten und Kurden als auch international akzeptiert wird. Doch die Widersprüche innerhalb der Allianz aus Dschaafaris Dawa-Partei, dem Obersten Rat der Islamischen Revolution (Sciri), der Mahdi angehört, und den Sadristen unter der Führung des radikalen Muktada al-Sadr brechen immer offener auf. Al-Sadr unterstützt weiterhin Dschaafari. Beide Bewegungen sehen sich als einheimische Schiitenorganisationen, die auch unter Saddam Hussein im Untergrund gekämpft haben. Dagegen beobachten sie den Sciri, der hauptsächlich vom Iran aus operiert hatte, mit Argwohn. Außerdem fühlen sich Sciri und Sadr einer unterschiedlichen Klientel verpflichtet. Al-Sadrs Hochburg liegt in den Armenvierteln im Norden Bagdads. Sciri ist dagegen unter der religiösen Elite in Nadschaf stark. Gegenüber den USA fährt Sciri einen vorsichtigen Kurs, während al-Sadr einen Termin für den Abzug der ausländischen Truppen verlangt.
Doch selbst wenn Dschaafari zurücktreten sollte, sind nicht alle Probleme gelöst. Jeder Nachfolgekandidat würde aufgrund der direkten politischen Intervention Washingtons gegen Dschaafari fortan als ein „US-Schiit“ angesehen. Der Zusammenhalt der Allianz ist auch in diesem Fall nicht sicher. Aber möglicherweise ist das der Plan der US-Regierung, die mit dem Ergebnis der Parlamentswahlen, der Dominanz der religiösen Parteien und ihren Verbindungen zum Iran nicht glücklich ist. Das Problem dabei: Bricht die schiitische Allianz auseinander, dürfte es zunächst noch schwieriger werden, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden. Für viele ist es das einzige Mittel, mit dem ein Bürgerkrieg noch abgewendet werden kann.