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Archiv-Artikel

Vielleicht die SPD …

MIGRANTINNEN Über sie wird viel spekuliert. Wir haben einige MigrantInnen persönlich gefragt, wie sie die Wahl in Deutschland sehen. Sie sind eingebürgert oder nicht, sie wählen oder nicht. Sie kommen aus Korea, aus Dänemark, aus Peru, aus der Türkei und aus Polen. Sie haben eins gemeinsam: Das Soziale ist ihnen wichtig

„In Deutschland merkt man gar nicht, dass Wahlkampf ist“, sagt Ji Hyun Kwon aus Südkorea. Dort bezahlen Politiker in Wahlkampfzeiten Menschen dafür, dass sie mit Plakaten und Megafonen durch die Straßen ziehen. „Dabei tanzen und singen sie“, erzählt die 32-Jährige, die seit fast drei Jahren in Deutschland ist und in Berlin-Steglitz wohnt.

In Deutschland müsse man den Fernseher anmachen, um etwas vom Wahlkampf mitzubekommen. Auf die Wahlplakate in den Straßen angesprochen, sagt die freie Fotografin und Videokünstlerin mit einem schelmischen Grinsen: „Die Fotos sind echt schlecht.“

Gut findet sie dafür Angela Merkel. Sie sei zwar „in einer komischen konservativen Partei – aber die Person ist wichtiger als die Partei.“

Wenn sie wahlberechtigt wäre, würde Kwon trotzdem die SPD wählen. Obwohl sie den Spitzenkandidaten ablehnt: „Ich mag Steinbrück nicht“, sagt sie. Er sei zwar clever, sehr diplomatisch und exakt, aber eben ein typischer Politiker. „Überhaupt ist die Politik in Deutschland sehr deutsch“, sagt sie. „Manchmal wären die Dinge einfacher, wenn die Politiker flexibler wären“, sagt sie und muss über die höfliche Verpackung ihrer Kritik lachen.

Auch das Wahlrecht könnte flexibler sein. Jetzt sei ihr Deutsch noch nicht so gut, und sie findet es in Ordnung, dass sie noch nicht wählen kann. Kwon schlägt vor, dass Migranten wählen dürfen, wenn sie zehn Jahre in Deutschland gelebt haben. Nach so langer Zeit wüssten die Menschen gut genug über Politik Bescheid. ALEXANDER KOHN

„Der Zweite Weltkrieg wird auch im Wahlkampf immer wieder erwähnt“, sagt Julie Andersen aus Dänemark. Für sie als Geschichtsstudentin sei es spannend zu sehen, dass Angela Merkel vor Kurzem das KZ in Dachau besucht hat. Die Kanzlerin wisse, dass das die Deutschen immer noch beschäftigt. „Ich finde, sie kann das politische Spiel ganz gut“, sagt die Studentin, die seit einem Jahr in Berlin einen Masterstudiengang absolviert.

Zu Merkels Herausforderer fällt der 26-Jährigen spontan ein, dass Steinbrück „ein bisschen langweilig“ aussieht. Er habe im Wahlkampf schon ein paar Fehler gemacht. „Das mit dem Wein, und dass er dann auch noch einen höheren Lohn für den Kanzler gefordert hat, das kam einfach doof rüber“, sagt sie und rollt mit den Augen.

„Der Wahlkampf dauert in Deutschland länger als in Dänemark“, sagt sie. Ob er aber inhaltlicher oder boulevardesker geführt wird als in Dänemark, könne sie nicht beurteilen. „Das kommt darauf an, welche Zeitung man liest oder welchen Sender man guckt“, sagt die junge Frau. Es mache ihr Spaß, den Wahlkampf zu verfolgen, denn dabei könne sie sehen, welche Partei für welche Inhalte steht. So lerne sie das Land besser kennen.

Was sie am meisten überrascht hat, war, „dass Merkel Plakate drucken kann, auf denen ihr Name gar nicht steht, sondern nur ihr Gesicht zu sehen ist“. Man dürfe nicht vergessen, dass sie schon viel geleistet habe. Aber wenn Andersen wählen dürfte, würde sie trotzdem der SPD ihre Stimme geben, „weil sie für einen Mindestlohn und die Rechte der Armen kämpfen“. Das sei wichtig, damit alle ein „Sicherheitsnetz“ haben, sagt sie. Die Kanzlerin kümmere sich darum nicht genug, findet Andersen.

Noch mehr ärgert es sie, dass sie als Dänin bei der Bundestagswahl nicht wählen darf. Sie wohne nun in Deutschland und wolle die Gesellschaft nicht nur vor dem Hintergrund der Geschichte verstehen. „Ich will aktiv daran teilnehmen“, fordert sie.

ALEXANDER KOHN

Papo Yoplack, 51, ist schnell beim Du, besonders wenn man ihn auf Spanisch anspricht. Aber auch sein Deutsch ist fließend. Yoplack ist in Peru geboren und lebt seit 21 Jahren in Deutschland. In Peru kämpften damals die Guerilleros vom „Leuchtenden Pfad“ um die Macht, in Deutschland saß Helmut Kohl auf selbiger. Zuerst hat Yoplack Volkswirtschaft in Heidelberg studiert, dann zog er mit seiner deutschen Ehefrau nach Berlin. Seit Kurzem arbeitet er als DJ und selbstständiger Eventmanager.

Jetzt sitzt er in einem Restaurant am Görlitzer Park und kämpft mit einer Wespe um seine Apfelschorle. Hier organisiert er seit einigen Jahren jede Woche einen Stammtisch, bei dem Spanisch gesprochen wird. Nicht nur Muttersprachler sind hier willkommen. An Deutschland mag er nicht, dass alles so streng geregelt ist, zum Beispiel die vielen Parkverbote. Diese geben ihm manchmal das Gefühl, dass der Einzelne kaum Freiheiten hat.

Yoplack hat den Kampf gegen die Wespe gewonnen, seine Apfelschorle ist leer. Bei der Bundestagswahl ist ihm soziale Gerechtigkeit besonders wichtig, vor allem ein flächendeckender Mindestlohn. Proteste gegen Stuttgart 21 oder die auf dem Taksimplatz machen ihm deutlich, dass sich die Politik vom Bürger entfernt hat. Aber diese Proteste machen ihm auch Mut: Sie zeigen ihm, dass die BürgerInnen die Macht haben sich zusammenzuschließen, um die Dinge gemeinsam zu verändern. „Ich bin überzeugt, dass wir in eine Epoche der Veränderung eintreten“, sagt er. Das zeige sich in Deutschland zum Beispiel durch die Gründung der Piratenpartei. „Die haben tolle neue Ideen, zum Beispiel die direkte Beteiligung der Bürger.“

Trotzdem will er am Sonntag seine Stimme entweder der SPD oder der Linkspartei geben. „Die Piratenpartei ist im Moment noch sehr chaotisch“, lacht er. Wenn man den Umfragen zur Bundestagswahl glaubt, muss sich Papo Yoplack mit dem Wandel wohl noch ein wenig gedulden. MORITZ LEHMANN

Ümit Baba, 33, sitzt hinter seinem Schreibtisch im Büro der Alevitischen Gemeinde zu Berlin. Der Vizevorsitzende des Glaubenvereins ist in Deutschland geboren und seit einem Jahr wahlberechtigt. An die politische Lage in Deutschland geht er mit gemischten Gefühlen heran.

Es gebe keine Partei, „die wirklich das macht, was man von ihr erwartet“. Das spiegele sich aktuell auch im Wahlkampf wider, „die Parteien haben von allem was dabei“, da könne man keine klare Linie finden. Für den jungen Aleviten stehen Themen wie Bildung und Erziehung im Mittelpunkt. „Alles, was mich und meine Familie betrifft.“ So auch die doppelte Staatsbürgerschaft oder die Berliner Mieten.

Es wird dieses Jahr Ümit Babas erster Gang zur Urne sein. „Ich lebe hier seit 33 Jahren und habe immer das Bedürfnis gehabt, wählen zu gehen.“ Die Zufriedenheit steht ihm ins Gesicht geschrieben. Aus familiärer Tradition stünde seine Wahl schon fest: SPD. „Das Wichtigste für mich ist: zu partizipieren.“ Gleichzeitig fühle er sich vom Verhalten der Politiker vorgeführt. Erst wenn es auf die Wahlen zugehe, seien überhaupt Bemühungen spürbar. „Das ist einfach nicht vertrauenswürdig“, sagt er seufzend.

Ein Punkt, der dem Deutschtürken außerdem missfällt, ist das Betreuungsgeld. Er sei total dagegen, dass man sein Kind zu Hause behalten und dafür auch noch Geld kassieren könne. „Es ist wichtig“, fügt er an, „dass vor allem in Deutschland lebende Migranten die hiesige Erziehung genießen und die deutsche Sprache lernen“. Auf die König-Frage bringt Baba seinen Missmut über radikale Gruppen zum Ausdruck. Das Wort „NSU“ fällt. „Wenn ich König von Deutschland wäre, würde ich definitiv Rechts- sowie Linksradikale abschaffen und für mehr Transparenz sorgen.“ Die NSU-Geschichte habe für einen großen Vertrauensbruch zwischen Regierung und in Deutschland lebenden Türken gesorgt. „Das muss erst mal wieder aufgearbeitet werden.“ PAUL TAYLAN KILIC

Verglichen mit der Art und Weise, wie Politik in Polen gemacht wird, ist der deutsche Wahlkampf langweilig – und das ist gut so. So sieht es Marcin Piekoszewski (39), der seit acht Jahren in Deutschland lebt.

Für ihn ist es ein Zeichen von Professionalität, wenn Politik nicht auf emotionaler, sondern auf inhaltlicher Ebene debattiert wird. „Hier geht es um Wirtschaft, um Gesellschaft. In Polen wird seit zwei Jahren über den Flugzeugabsturz in Smolensk und die Rolle der Russen diskutiert. Aber das betrifft nicht das Leben der Menschen“, erklärt der Besitzer einer deutsch-polnischen Buchhandlung. Inhaltlich hätten viele polnische Politiker wenig zu sagen.

Piekoszewski ist kein deutscher Staatsbürger. Das Wahlrecht ist für ihn der einzige Grund, warum er sich einbürgern lassen will. „Ich habe hier meine Buchhandlung und meine Familie, dafür brauche ich das nicht. Aber ich will mitentscheiden“, erklärt er.

Piekoszewski sieht sich selbst als Linken. Zur SPD kann er sich jedoch nicht vollständig bekennen. Dafür stört ihn zu viel an der Außenpolitik, die die Partei in den letzten Jahren vertreten hat. Der Schulterschluss von Kanzler Gerhard Schröder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin von 2005 bei der Verlegung der Gaspipeline hat in seinen Augen polnische und somit europäische Interessen übergangen.

Für Piekoszewski setzt SPD-Spitzenkandidat Steinbrück den Stil Schröders fort – nicht nur politisch. „Zigarren, teure Weine; die beiden sind sich sehr ähnlich. Und Willy Brandt ist leider schon Geschichte.“ DINAH RIESE