: Ach ja, passt schon
CHAMPIONS LEAGUE Verzagte Leverkusener überlassen Manchester United den Sieg. Wieder einmal stellen sie ihr Licht unter den Scheffel. Die Show überlassen sie Wayne Rooney
STEFAN KIESSLING
AUS MANCHESTER DANIEL THEWELEIT
Als Wayne Rooney mit roten Flecken im Gesicht, hängenden Schultern und einem etwas schäbig wirkenden Gepäckstück aus der Kabine getrottet kam, hatte er plötzlich überhaupt nichts Furchteinflößendes mehr. Geradezu unscheinbar wirkte der Mann, der an diesem Abend Geschichte geschrieben hatte. Er sei „sehr glücklich“ über das 4:2 von Manchester United über Bayer Leverkusen zum Auftakt der Champions-League-Saison, sagte er und erklärte, dass er „hoch erfreut“ über seine nunmehr neun Jahre in Manchester sei. Diese grundsätzlichen Worte waren angemessen, weil der Angreifer zuvor nicht nur die Leverkusener Abwehr schwindelig gespielt und einen Treffer vorbereitet, sondern auch noch sein 199. und 200. Tor für United erzielt hatte. Also feierten die Engländer einen Augenblick für die Geschichtsbücher, nur drei andere Spieler haben häufiger für den Traditionsklub getroffen. Die Experten im Fernsehen berauschten sich noch bis spät in die Nacht am „besten Spieler, den England im Moment hat“.
Diese Schwärmerei dürfte Rudi Völler gefallen haben, der den Hauptgrund für die Niederlage seines Klubs eher in der Übermacht des Gegners vermutete. „Erhobenen Hauptes“ könne das Team sich auf die Heimreise begeben, meinte der Leverkusener Sportdirektor, ManU sei schließlich der große Favorit in dieser Gruppe. Und die Schiedsrichter, die vor Rooneys 1:0 ein Foul und eine Behinderung des Torwarts übersehen hatten, hätten ja auch ihren Teil zu der Niederlage beigetragen.
Völler nahm seine Mannschaft in Schutz und warf damit mal wieder die alte Frage auf, ob die Verantwortlichen in Leverkusen nicht etwas zu schnell zufrieden sind mit dem Erreichten. Schließlich befindet ManU sich im Umbruch, der neue Trainer tritt das schwere Erbe des legendären Alex Ferguson an, das Team ist nicht eingespielt und auch nicht mehr so brillant besetzt wie vor vier, fünf Jahren. Muss da von einem Vertreter der Bundesliga nicht mehr erwartet werden als diese zwar keineswegs blamable, aber doch von Fehlern durchsetzte Leistung?
Ja, meinen zumindest einige Spieler. „Wir hätten noch mutiger spielen und uns noch mehr zutrauen müssen“, sagte Stefan Kießling, „die Räume waren da, aber wir hatten viele relativ leichte Fehlpässe.“ Und Stefan Reinartz erklärte: „Weil das hier Old Trafford ist, weil das ein großer Name ist, ist nicht immer alles Weltklasse. Das ist eine gute Mannschaft, die hat gut gespielt, das hat leider heute gereicht.“
In der Defensive der Werkself produzierten Toprak, Spahic, Boenisch und auch Torhüter Leno einfach ein paar katastrophale Fehler zu viel. Und das lässt sich allenfalls zum Teil mit der Qualität des Gegners erklären. „Ich würde trotzdem sagen, dass wir ein gutes Spiel gemacht haben“, sagte Bernd Leno. Matthias Sammer würde vermutlich toben, wenn jemand in München nach einem Fehlerfestival wie diesem derart fröhliche Worte formuliert hätte.
Doch in Leverkusen lieben sie ihre Ruhe, die ja durchaus ein Standortvorteil sein kann. Sie werden sich in den kommenden Tagen ohne Hysterie auf das Auswärtsspiel in Mainz am Samstag vorbereiten. Ob es mit dieser Haltung möglich ist, auch mal etwas Großes zu erreichen, bleibt vorerst eine unbeantwortete Frage. Wobei Sami Hyypiä schon dabei ist, dem Team Mut und einen größeren Hunger nach Siegen zu vermitteln: „Wir haben vor dem Spiel viel über mentale Sachen gesprochen, das ist im Fußball ein ganz wichtiger Aspekt. Daran hat es aber heute bei uns ein bisschen gefehlt“, meinte der Leverkusener Trainer.
Es ist das ebenso alte wie ungelöste Leverkusener Großprojekt, dessen zähes Fortschreiten im Europapokal besonders gut sichtbar wird. Im Vorjahr verschluderte das Team seine Spiele gegen den späteren Finalisten Benfica Lissabon, und im Jahr zuvor wurde der mögliche Gruppensieg verdaddelt, was mit Achtelfinal-Duellen gegen den FC Barcelona bestraft wurde, der den Werksklub demütigte. Völler ist dennoch sicher, dass „die Qualität, um in der nächsten Runde gegen San Sebastián zu gewinnen“, vorhanden ist. Anders als an diesem Abend müssen sie nur häufiger „ans Limit“ gehen, wie Stefan Kießling forderte.