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Archiv-Artikel

Der liebe Onkel Saddam

Zainab Salbi erzählt ergreifend von ihrem Leben „zwischen zwei Welten“. Einst war sie der kleine Liebling des irakischen Diktators, heute ist sie Frauenrechtlerin in den USA

Sie ist auf dem Schoß Saddam Husseins groß geworden und hat darüber eine ergreifendes Buch geschrieben: Zainab Salbi. Ihre Eltern waren mit Saddam Hussein befreundet, besser zwangsbefreundet. Denn sie gehörten zur Bagdader High Society, zu der der einstige Bauer aus Tikrit schon als Vizepräsident Kontakt suchte. Salbis Eltern konnten sich seinen Annäherungsversuchen nur schwer entziehen. „Wir waren nicht begeistert über diese Freundschaft. Es gelang uns, ihm zwei Jahre aus dem Weg zu gehen. Doch ewig konnten wir ihm nicht ausweichen“, zitiert Salbi aus dem Tagebuch ihrer Mutter.

Aus diesem Tagebuch erfährt Zainab Salbi auch, welche Angst ihre Eltern vor dem Diktator hatten. Und abgesehen von der Angst, die sie davon abhielt, sich der „Freundschaft“ Saddam Husseins zu verweigern, standen sie auch noch in seiner Schuld. Schließlich erlöste er die Familie aus einer schwierigen Notlage – wenn man das so nennen kann. Denn: In jene Notlage hatte sie erst als Saddam Hussein selbst gebracht. Schließlich hat er 1980 einen Krieg gegen Iran angezettelt und tausende iranischstämmige Schiiten deportieren lassen. Auch Zainab Salbis Mutter drohte die Abschiebung. Doch der Vater von Zainab nutzte die Beziehung zu Saddam Hussein, um die Abschiebung seiner Frau zu verhindern.

Die Zwangsbeziehung verschlimmerte sich noch, als Salbis Vater zum Privatpiloten von Saddam Hussein aufstieg. Seine Tochter hatte von dem Dilemma ihrer Eltern keine Ahnung und wusste nicht, was für ein brutaler Gewaltherrscher Saddam Hussein war. Für sie war er der liebe Onkel. Obwohl sie nicht in Saddam Husseins Leben sein will, schreibt sie, müsse sie zugeben: Er ist nicht nur leutselig, sondern unwiderstehlich gewesen, nicht nur nett, sondern bezaubernd.

So was möchte man eigentlich nicht hören. Und natürlich, sagt sie, sie sehe nun, nach Jahren, nachdem sie von all den Untaten erfahren hat, die Saddam Hussein begangen hat, ebenfalls wie alle anderen den Unmenschen in ihm. Aber früher sei er eben für sie der liebe Onkel gewesen und wenn sie an den Menschen Saddam denke, sei er das bis heute. Dieses Phänomen ist zwar nicht neu. Schließlich waren auch andere der größten Menschenschinder des 20. Jahrhunderts zu ihren eigenen Kindern gefühlvoll, haben Blumen gezüchtet, Liebesgedichte geschrieben. Erstaunlich ist es dennoch immer wieder – und deshalb ist dieses Buch interessant.

Fast wäre Salbi passiert, was allen Frauen im Irak widerfahren konnte: eine Vergewaltigung. Saddam Hussein hatte ein Auge auf das Mädchen geworfen. Zainabs Mutter hat dies bemerkt und wusste, so wie man ihm alles geben musste, hätte man ihm auch die Tochter geben müssen. Deshalb zwang sie das Kind zu einer Heirat mit einem ihr unbekannten Mann in den USA.

Zainab erfährt erst Jahre später, was die Mutter zu ihrer Entscheidung trieb, das Kind einem wildfremden Mann anzuvertrauen. In den Jahren dazwischen hasst sie die Mutter, denn dieser wildfremde Mann vergewaltigt sie ganz genauso wie Saddam Hussein es vermutlich getan hätte. Ihrem Mann allerdings konnte sie danach entfliehen – und gründete „Women for Women International“, eine Organisation, die sich für Opfer von Vergewaltigungen in aller Welt einsetzt. KATAJUN AMIRPUR

Zainab Salbi (mit Laurie Becklund): „Zwischen zwei Welten. Die Jahre bei Saddam und meine Flucht aus der Tyrannei“. Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß, Kollektiv Druck-Reif, Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, 348 Seiten,22 Euro