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Archiv-Artikel

Stillen will gelernt sein

Stillen gelingt nicht immer auf Anhieb. Oft saugt das Kind falsch, oder die Brustwarzen entzünden sich. Geschulte Beraterinnen und Stillgruppen bieten kompetente Hilfe – auch schon vor der Geburt

VON VERENA MÖRATH

„Stillen ist eine ganz natürliche Sache! Nach der Geburt kommt das Neugeborene an die Brust, saugt und ist von nun an satt und zufrieden!“, denken die meisten – auch ein Großteil der werdenden Mütter. Deshalb kümmern sie sich weniger ums Stillen als um die Geburt, um die Erstlingsausstattung und gehen mit dickem Bauch frühzeitig auf die Suche nach einem geeigneten Krippenplatz für den Nachwuchs. Dass Stillen vielleicht problematisch sein oder gar nicht klappen könnte, daran denkt in der ganzen Aufregung und Vorfreude kaum eine. Wenn das Stillen dann Probleme macht, steigen viele auf Flaschennahrung um, obwohl Muttermilch heute als die beste Ernährung für Säuglinge gilt.

Die bis dato größte, bundesweite Untersuchung über Stillen und Säuglingsernährung (SuSe-Studie), 1997 vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund gemacht, konnte zeigen: Zwei Tage nach der Entbindung wollen noch 91 Prozent der Mütter ihren Nachwuchs voll stillen, zwei Tage nach der Klinikentlassung sind es nur noch 78 Prozent, und nach dem vollendeten zweiten Lebensmonat bekommen nicht mal mehr die Hälfte der Säuglinge ausschließlich Muttermilch. Dass die hohe Stillquote rapide abnimmt, liegt sowohl an der anfänglich mangelhaften Unterweisung der Frauen in der Klinik als auch an der nicht hinreichenden Beratung nach der Klinikentlassung, so das Fazit der Studie. Natürlich gibt es auch Mütter, die sich bewusst gegen Stillen entscheiden.

Die Stillbeauftragte des Berliner Hebammenverbandes, Yvonne Bovermann, glaubt, dass sich viele Frauen mit dem Stillen schwer tun, weil sie sich während der Schwangerschaft nicht damit beschäftigt haben und auf eventuelle Stillprobleme nicht vorbereitet sind. „Die Erfahrungen mit dem Stillen wurden früher von Generation zu Generation weitergegeben. Heute haben viele Frauen noch nie eine stillende Mutter aus der Nähe gesehen und haben für das Stillen kein Gefühl“, sagt Bovermann, die selbst vier Kinder hat. Wo Mütter und Großmütter, Tanten und Freundinnen nicht mehr als Vorbild dienen, springen heute Kinderkrankenschwestern, Hebammen und Stillberaterinnen ein, um die Frauen in der oft schwierigen Anfangszeit des Stillens zu unterstützen.

Stillberaterinnen wie Bovermann haben in einer einjährigen Fortbildung gelernt, was hilft, wenn ein neuer Erdenbürger nicht so an der Brust trinkt, wie er sollte. Kommt es zum Beispiel zu harten und knotigen Brüsten nach initialem Milcheinschuss, raten sie, das Kind häufig anzulegen, die Brust davor mit feuchtwarmen Umschlägen und danach mit kalten Umschlägen oder Quarkwickeln zu behandeln. So fließt die Milch besser, und es entsteht kein Milchstau.

Die Expertinnen zeigen einer Frau auch die passende der acht möglichen Stillpositionen. Oder erklären, warum die Brustwarzen immer wund sind und das Kind nicht satt wird. Das geschieht, wenn das Kleine falsch an der Brust liegt und nur an der Brustwarze saugt, statt auch am Brustgewebe. Das Baby trinkt die Brust dann nicht richtig leer, bleibt hungrig, und die Brustwarzen entzünden sich – ein Kreislauf, der oft mit vorzeitigem Abstillen endet. „Es kann acht Wochen dauern, bis Mutter und Kind sich als gutes Team eingespielt haben“, weiß Bovermann. Bei massiven Stillproblemen übernehmen Krankenkassen die Kosten für eine begleitende Stillberatung.

Damit Stillen von Anfang an reibungslos glückt, rät Expertin Bovermann allen Schwangeren, sich hierüber schon vor der Geburt zu informieren – am besten nicht nur anhand von Büchern und Broschüren, sondern durch direktes Ansprechen der betreuenden Hebamme oder den Besuch einer Stillgruppe oder eines Stilltreffs. Diese bieten Hebammenpraxen, Geburtshäuser und Kliniken in jedem Berliner Bezirk an. Zudem empfiehlt die Stillberaterin, bei der Wahl der Geburtsklinik darauf zu achten, dass sie stillfreundlich ist: Im Kreißsaal beispielsweise sollte der Hautkontakt während der ersten zwei Stunden nach der Geburt oder bis nach dem ersten Stillen nicht durch Routinemaßnahmen wie Wiegen, Messen und Anziehen unterbrochen werden. Studien belegen nämlich, dass Babys durch die so genannte Bondingphase schneller saugen lernen und sich ihre Körperfunktionen zeitiger stabilisieren.

Auch wie das Kind auf die Welt kommt, beeinflusst sein Saugvermögen. „Nach einem Kaiserschnitt kommt es häufiger zu Anfangsproblemen beim Stillen als bei einer spontanen Geburt“, weiß Bovermann. Auch eine örtliche Betäubung während der Geburt durch eine Periduralanästhesie (PDA) beeinflusse das erste Anlegen und den Saugreflex des Neugeborenen negativ.

Berufsverband Deutscher Laktationsberaterinnen: www.bdl-stillen.de; Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen: www.afs-stillen.de; www .stillfreundlicheskrankenhaus.de