piwik no script img

Archiv-Artikel

„Was Musik angeht, ist Berlin unerschöpflich“

DER ARBEITERMUSIKER Rummelsnuff war erst Mechaniker, dann Bodybuildingtrainer. Später hat er sein eigenes musikalisches Genre erfunden: die Derbe Strommusik, die sich irgendwo zwischen den Schlagern von Hans Albers und Berghain-Techno bewegt. Ein Gespräch über linke und rechte Ästhetik, über Koalitionen mit der Anarchistischen Pogo-Partei und über eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Popeye

Käpt’n Rummelsnuff

■ Der Mensch: Roger Baptist alias Rummelsnuff wurde 1966 in Großenhain bei Dresden geboren. Seine Mutter war Geigenlehrerin, sein Vater Posaunist. In den 1980er Jahren hat Rummelsnuff eine Ausbildung zum Mechaniker in Adlershof gemacht, auch als Bodybuildingtrainer hat er gearbeitet. Er wohnt in Schöneweide.

■ Die Musik: Seine Musik bewegt sich irgendwo zwischen simplen Technobeats, Tetris-Elektrospielereien, Industrialsound (also krachigen, metallischen Klängen) und Arbeiterliedern. Dazu intoniert er mit tiefer Bassstimme Texte wie: „Der Käpt’n nimmt dich mit / er teilt die Welt mit dir / bis Kamtschatka folgst du ihm / ihr werdet mit den Fischen ziehen.“

■ Der Musiker: Rummelsnuff spielt Fagott, Bassgitarre und Computertasten. Seine erste eigene Band hieß Kein Mitleid, er gründete sie 1987 in Dresden. Ab 1989 spielte er bei der Band Freunde der italienischen Oper, die genauso klang, wie sie hieß. In den 90ern gründete er die Band Automatic Noir, die sich zwischen EBM (Electronic Body Music zwischen Dark Wave, Elektro und Metal) und Neuer Deutscher Härte bewegte. Seit 2005 tritt er als Elektro-Hafenkneipen-Chansonnier Käpt’n Rummelsnuff auf.

■ Der Name: Bei der Zusammenarbeit mit dem norwegischen Künstler Bjarne Melgaard entstand 2004 dieser Name; Melgaard nannte Baptist erst Rummel und dann Rummelsnuff. Ursprünglich hat Melgaard den Spitznamen vom Ortsteil Rummelsburg abgeleitet. Man spricht Rummelsnuff deutsch aus.

■ Das Album: Das neue Album heißt „Kraftgewinn mit Rummelsnuff“ und erscheint am 4. Oktober. (jut)

INTERVIEW JENS UTHOFF FOTOS PIERO CHIUSSI

Ein Spätsommerabend in einem Hinterhof in Schöneweide. Flache, alte Gebäude, von Nadelbäumen umgeben. Im Hof arbeiten Mechaniker an einem Auto. Geht man weiter, kommen einige Türen – hier könnte jemand wohnen. Vorsichtiges Klopfen, da kommt uns Rummelsnuff schon entgegen. Wir setzen uns auf eine Bank im Hof, zur Rechten trocknen auf der Wäscheleine Unterhemden in der Sonne, zur Linken steht ein Grill, dessen Kohlen noch glühen.

taz: Käpt’n Rummelsnuff, auf Ihrem neuen Album huldigen Sie dem Arbeiter. Würden Sie noch SPD wählen?

Rummelsnuff: Wenn die sich kurzfristig bereit erklären würde, mit den Piraten, der „Partei“ und der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands zu koalieren – gern!

Was denken Sie über die 150 Jahre alte Tante?

Wenn sie mit dem Idealismus der alten Tage rangehen würde, hätte sie sich vielleicht besser gehalten. Bei dem, was sie gerade vertritt, schreie ich nicht gerade hurra. Aber ich habe letztens schon ein politisches Interview gegeben, da habe ich kläglich versagt.

Es soll auch kein politisches Gespräch werden. Aber man kann ja schon fragen, ob es überhaupt eine Partei gibt, die den Arbeiter noch vertritt.

Meine Sympathie ist auf der linken Seite, aber ich weiß manchmal nicht, wo die ist oder ob es sie überhaupt noch gibt. Wäre es ein Unterschied, ob wir nun Rot-Rot hätten oder Schwarz-Rot oder Schwarz-Irgendwas?

Bleiben wir mal beim Arbeiter. Vergisst man den in der postindustriellen Gesellschaft?

Da fragen Sie nun jemanden, der mit solchen Sachen groß geworden ist. Ich habe früher fasziniert beobachtet, wie kohlenverschmierte Heizer gearbeitet haben. Aber vielleicht bin ich ’n bisschen von gestern, was das betrifft, denn der Großteil der Leute interessiert sich nicht groß für Handwerker oder Arbeiter.

Arbeiterlieder spielt ja auch kaum einer mehr.

Gut, dass es Rummelsnuff gibt.

Haben Sie ein Lieblingsarbeiterlied?

„Die Moorsoldaten“ vielleicht – ist natürlich ein antifaschistisches Widerstandslied, aber da gibt’s auch arbeitende Männer.

Wie sehen Sie diese Musik heute aus der Distanz? Damals war’s ja Pflichtprogramm.

Damals hätten wir vielleicht lieber etwas über Pop gelernt. Aber wenn man heute zurückblickt, denkt man vielleicht schon, dass Arbeiterlieder ein bisschen mehr Substanz hatten als, sagen wir, Boney M. (schmunzelt)

Wie sind Sie selbst zur Musik gekommen?

In gewisser Weise war der Zugang zur Musik hausgemacht, meine Eltern waren Musiker. Zu meiner ersten größeren Band, den Freunden der italienischen Oper, kam ich, weil die jemanden suchten und ich den Bassisten kannte. Ich habe aber lange nicht geglaubt, dass es klappen könnte, von der Musik zu leben. Und erst mit Rummelsnuff habe ich zu der Musik gefunden, die ich immer machen wollte. Das war das Wichtigste – nicht der kommerzielle Erfolg.

Bei Ihnen gibt es ja irgendwie alle Stile: ein bisschen Pop, ein bisschen Metal, harter Elektro.

Ich habe es nicht drauf angelegt, aber ich kriege viel Zuspruch aus dieser Richtung – in einigen Kreisen bin ich da so was wie ein Maskottchen. Aber nicht mal die Rapper schrecken mehr vor mir zurück, bei Fettes Brot habe ich etwa in einem Video mitgewirkt. Es gab Kooperationen mit den Berliner Rappern von K. I. Z. und mit den Orsons. Die Metalgitarren in einem Song meines neuen Albums kommen von der Krefelder Grindcoreband Japanische Kampfhörspiele.

Sie hatten viele Gastmusiker bei den Aufnahmen zu Ihrem neuen Album.

Ja, die Sängerin Lucy van Org zum Beispiel [den meisten noch als Lucilectric bekannt; Anm. d. Red.] oder Leather Strip, EBM-Urgesteine aus Dänemark.

Kommen wir mal zu der Figur Rummelsnuff und den verschiedenen Ästhetiken, mit denen Sie jonglieren. Manche haben gesagt, das sei unvereinbar – und sprachen von Seemannsästhetik, schwuler Ästhetik, Leni-Riefenstahl-Ästhetik. Setzen Sie die alle bewusst ein?

Nein, da denke ich nicht groß drüber nach. Was Leni Riefenstahl betrifft, kann ich das auch nicht verstehen. Bei Riefenstahl ist das ja hoch kunstvoll und professionell. Wenn man da im Vergleich meine selbst gemachten Videos sieht … Und wenn dann Leute sagen, das sei eine faschistische Ästhetik, wundere ich mich nur. Da machen die es sich zu einfach. Ich will auch überhaupt nicht provozieren.

Es muss ja nicht falsch sein, als Künstler damit zu spielen.

Für mich gibt es keine „linke“ oder „rechte“ Ästhetik. Keine Schwarz-Weiß-Bildästhetik oder Frakturschrift gehört per se irgendeiner politischen Richtung an. Das ist eine bestimmte Form, die nichts damit zu tun hat, dass jemand mit ’nem Schnurrbart irgendwas gebrüllt hat – der hat die Schrift übrigens später selbst versucht einzudämmen. In den 40ern fand der das gar nicht mehr so cool. Die Seemannsästhetik ist klarer: Wenn ich mir ’ne Marinemütze aufsetze, sieht das maritim aus, und das soll’s ja auch – die See ist ein wunderbares Thema zum Transport von Botschaften.

Woher kommt die Nähe zur See? Wenn Sie jetzt aus Lübeck oder Hamburg kämen, okay …

Ich komm’ von der Elbe! Aus Großenhain bei Dresden, zehn Kilometer von der Elbe entfernt.

Wenn man Sie mal live gesehen hat, hat man ein Bild von einem Musiker vor Augen, der sich irgendwo zwischen Hans Albers, Popeye und Tom Waits bewegt.

Schön, danke.

Was haben Sie von diesen Figuren?

Hans Albers ist ein wunderbarer Darbieter. Ganz bestimmt nicht der tollste Sänger der Welt, und das bin ich auch nicht, aber wie er es darbietet, das ist besonders. Es gibt viele Versionen von „Goodbye Johnny“, aber so wie er macht’s eben keiner. Und wen hatten Sie noch? Popeye? (zieht den Mund auseinander und die Augen in Richtung der Mundwinkel) Vielleicht das Mienenspiel? ’ne Pfeife hab’ ich auch.

Und Tom Waits?

Den höre ich mir gerne an. Es kann sein, dass man unbewusst ein paar Ratschläge annimmt vom guten alten Onkel Waits und sich das dann auch in meiner Musik bemerkbar macht. Er singt ja auch „Komme nie zu spät“, also „Kommienezuspadt“ auf Deutsch, wunderbar, das müssen Sie sich mal anhören.

Sie haben einen Bezug zu diversen Berliner Bezirken und Ortsteilen. Was verbinden Sie mit Ihrem Wohnort Schöneweide?

Ich halte mich ja meistens hier in meiner Bude auf. Und sonst bin ich mehr in anderen Stadtteilen unterwegs; meine Freunde wohnen eher in Kreuzberg oder so.

Und dann haben Sie noch unter dem Titel „Sender Karlshorst“ ein Album veröffentlicht.

Das hatte ich im Funkhaus Nalepastraße aufgenommen, also vor der Tür des ehemaligen Hauptquartiers der Sowjetischen Militäradministration in Karlshorst. Es ist quasi ein Konzeptalbum über ostdeutsche Befindlichkeit und die alte Sowjetunion.

Haben Sie einen Lieblingsort in Berlin?

(grinst, schaut sich in seinem Hinterhof um, blickt in Richtung des Grills) Nun ja.

Haus und Hof zählen nicht.

In der Stadt ist es das Restaurant Zum Schusterjungen in Prenzlauzer Berg, da gehe ich gerne und oft hin. Außerhalb habe ich einen Lieblingsort am Rande der Stadt, an der Spree, bevor sie in den Müggelsee mündet. Da hab’ ich ’ne ganz bestimmte Stelle, dahin ziehe ich mich manchmal zurück.

Kommen wir mal auf Ihre Muskeln zu sprechen.

Ja. Das Album heißt ja auch „Kraftgewinn mit Rummelsnuff“.

Wann haben Sie angefangen mit dem Krafttraining?

Der richtige Einstieg kam mit Anfang zwanzig, aber wir sind auch früher als Buben schon in die Kraftsporthalle gegangen. So hieß das damals bei uns.

Was ist das Faszinierende am Krafttraining?

Es hat ja jeder so seine …

Obsessionen?

… mehrere Seiten in sich. Ich arbeite viel am Rechner, da brauch’ ich manchmal ein bisschen Kraftanstrengung. Meinen eigenen Kraftraum habe ich direkt hier. Mittlerweile haben sie mir auch einen McFIT vor die Tür gesetzt. Da gehe ich manchmal nachts hin, die haben 24 Stunden auf. Das hat den Vorteil, dass die Arbeit außer Reichweite ist.

„Ich bin immer der Gleiche, ich sehe mich nicht als Kunstfigur“

Und Bodybuildingtrainer waren Sie auch?

Ich habe einen Trainerschein für Kraftsportarten beim Deutschen Sportbund gemacht. Ich habe in dem Bereich aber nur kurzzeitig gearbeitet. Das war zu Zeiten der Ich-AGs, da habe ich meine eigene Ich-AG als Trainer und Musiker gegründet. Ich bin einer der wenigen, bei denen die Ich-AG funktioniert hat, zuletzt ausschließlich als Musiker. Ich bin auch … nun ja, nicht dankbar, ich hab’ ja schließlich auch lange eingezahlt – ich bin einfach zufrieden, wie’s gelaufen ist.

Aber erst mal verhalfen Ihnen die Muskeln zu Ihren Jobs?

Sie meinen als Türsteher? Ja, im Berghain mach’ ich immer noch gelegentlich die Tür im Lab [Berghain Lab.Oratory; d. Red.]. Ich möchte auch immer damit verbunden bleiben, vor allem wegen den Menschen, die da arbeiten. Das hat mir ganz große Welten eröffnet. Ich habe zum Beispiel den Fotografen Sven Marquardt dort kennengelernt, der hat mich für zwei Albumcover fotografiert, „Halt durch“ und „Himmelfahrt“. Gelegentlich steh’ ich ihm auch Modell.

Wie kam es zu der Verbindung zum Berghain?

Es fing an, als Rummelsnuff als Liveact spielte, auf einer Smegma-Party 2007. Das Lab war ja eigentlich ein Ort nur für Männer, es ging um Sex – Smegma hingegen ist eine Party, wo du machen kannst, was du willst, Mann oder Frau. Du kannst Sex haben, aber das steht nicht im Mittelpunkt. Damals fiel bei denen ein Türsteher aus, und ich konnte das Geld gut gebrauchen. So sprang ich ein und blieb.

In der Berliner Szene sind Sie ohnehin gut vernetzt, oder?

Ich bin hier schon irgendwie in so ’ne Künstlergang reingeraten. Mit dem Fotografen Miron Zownir und dem Musiker King Khan etwa habe ich zusammengearbeitet. Berlin ist unerschöpflich, was das betrifft.

So manch andere Berliner scheinen auf den Zug der Arbeiter- und Muskelästhetik, für die Sie in den letzten Jahren standen, aufgesprungen zu sein.

Da habe ich mich jetzt nicht so drum gekümmert.

Ich denke etwa an Haudegen [eine Berliner Metalcoreband, die in Arbeiterkluft auftritt; Anm. d. Red.].

Die sind kräftig, sprechen und singen deutsch, tragen zeitlose Kleidung, und sie erreichen ’ne Menge Menschen. Es gibt da sicher auch eine gewisse Schnittmenge bei den Fans. Musikalisch gehen wir aber sehr unterschiedliche Wege.

Mit dem von Ihnen erfundenen Genre Derbe Strommusik können Sie sich musikalisch ja noch in alle möglichen Richtungen bewegen.

Klar, mit Strom kann man viel machen. Gedacht war’s ja mal als Musik aus ’m Rechner und mit ein bisschen Gitarre dazu. Aber mittlerweile habe ich mit einigen Leuten auch ein Stromlosprogramm entwickelt. Da haben wir [gemeint sind Käpt’n Rummelsnuff, Sänger Christian Asbach, der Gitarrist der Band Knorkator, Buzz Dee, Akkordeonist Bernd Butz und David Hagen an der Tuba; Anm. d. Red.] sehr erfolgreich Seemannslieder bei einem Open-Air-Kaffeekränzchen für ältere Damen gesungen. Wir spielen auch auf Geburtstagen und Hochzeiten, zum Beispiel haben uns soeben zwei Mädels für ihre Hochzeit gebucht.

Könnten Sie sich vorstellen, sich noch mal von der Figur Rummelsnuff wegzubewegen?

Nein.

Trennen Sie denn zwischen sich als Mensch und der öffentlichen Figur?

Gar nicht. Ich habe diesen komischen Vornamen Roger, die meisten sagen „Rotscha“, da nenne ich mich doch lieber Rummel oder Rummelsnuff. Nein, ich bin immer der Gleiche, ich sehe mich da nicht als Kunstfigur. Anfangs wollte der Alfred Hilsberg eine geheimnisvollere Figur daraus kreieren, nicht so ’n lustiges Kerlchen. Aber ich kann den Leuten nichts vormachen – da bleib’ ich doch lieber der, der ich bin.