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Archiv-Artikel

„Das war’s dann für mich!“

RADSPORT Der Journalist und Exprofi Paul Kimmage ist einer der schärfsten Kritiker des Weltverbands UCI. Wenn Pat McQuaid als Präsident bestätigt wird, will er den Griffel fallen lassen

Paul Kimmage

■ Der 51-Jährige irische Sportjournalist befasst sich nach seiner Radprofikarriere mit den Niederungen des Sports. 1990 schilderte er in seinem Bestseller „Rough Ride“ seine Erfahrungen bei der Tour de France. Als er 2011 nach einem Interview, das er mit dem geständigen Doper Floyd Landis geführt hatte, auf die Verstrickungen des Radsportweltverbands UCI in das Dopingsystem Lance Armstrongs hinwies, wurde er von der Organisation verklagt.

INTERVIEW DANIEL ZYLBERSZTAJN

taz: Herr Kimmage, am nächsten Freitag wird der Präsident des Internationalen Radsportverbands gewählt. Welches Gefühl haben Sie vor der Abstimmung?

Paul Kimmage: Ein deprimierendes. Dass sich Amtsinhaber Pat McQuaid überhaupt noch einmal zur Wahl stellen darf, sagt schon viel über den Verband. Wie kann man einen Mann nur unterstützen, wenn man weiß, wie im Verband unter ihm gearbeitet wurde? Für mich ist das einfach unglaublich. Ich bin all dessen müde. Und dennoch wird es wieder Leute geben, die McQuaid ihre Stimme geben, weil sie glauben, er sei ein großartiger Mann.

Ist Brian Cookson, sein Gegenkandidat, die bessere Wahl?

Auch er gehört seit 2009 der UCI-Führung an und hat alle Entscheidungen der UCI mitgetragen. Bis dato hat er nichts über seine eigene Rolle im Verband gesagt. Auch nichts über seine Rolle, als die UCI mich wegen Verleumdung verklagt hat.

Sie hatten den UCI-Chefs vorgeworfen, verantwortungslos zu handeln und nicht bei jedem Fahrer die gleichen Regeln anzuwenden.

Cookson muss davon gewusst haben, aber bisher sagte er nichts. Ich will mehr darüber wissen. Einfache Antworten auf einfache Fragen. Wessen Idee war es, und welche Rolle spielte er damals?

Ist die UCI überhaupt zu reformieren?

Der Verband gilt als Hüter und Bewahrer des Radsports, aber ich glaube, den Funktionären ist der Sport eigentlich egal. Pat McQuaid ist nur an sich selbst interessiert, an seiner Mitgliedschaft im IOC und den schönen Reisen um die Welt. Das gilt für die meisten Mitglieder der UCI. Insofern ist durchaus folgerichtig, was in den letzten drei Jahren im Radsport passiert ist.

Immerhin wurde im Januar eine unabhängige Wahrheits- und Versöhnungskommission von der UCI ins Leben gerufen, die die Verfehlungen des Verbands im Antidopingkampf aufarbeiten soll. Ist wenigstens das eine glaubwürdige Aktion?

Wie für viele andere, die das Beste für den Sport wollen, begrüße ich sie. Der generelle Konsens im Radsport ist, dass wir durch einen solchen Prozess hindurchmüssen – wegen der Nachsichtigkeit der letzten Jahre vor allem Leuten gegenüber, die keine Barmherzigkeit verdienen. Wenn dies der Weg ist, den Radsport zu retten – ja bitte, macht das. Brian Cooksons Forderung, dass diese Kommission nicht unter der UCI agieren soll, sondern unabhängig, gefällt mir dabei besonders. Dies ist ein sehr positiver Schritt. Was mich dabei allerdings skeptisch macht, ist die Art und Weise der UCI, wie sie die Nachfolge an der Verbandsspitze organisiert. Hein Verbruggen wählte so einst McQuaid als seinen Nachfolger aus, der dann all das tat, was Verbruggen gewollt hätte. Wenn der nun eine Kommission einrichtet – welche Hoffnung ist damit für den Sport verbunden?

Wie kann es sein, dass sich das in der UCI mit ihren zahlreichen Mitgliedern aus aller Welt so einfach machen lässt?

Das erklärt sich leicht. Nehmen Sie das IOC. Irlands Vertreter darin ist Patrick Hickey, ein Judoka. Judo ist ein eher kleiner Sport in Irland, aber Hickey weiß, dass er als Judorepräsentant im IOC die gleichen Mitbestimmungsrechte hat wie die Vertreter der Leichtathletik oder des Fußballs. Ein kleiner Sport wie Judo hat die gleichen Rechte wie die großen Volkssportarten. Man muss also die kleinen Organisationen bearbeiten.

Und im Radsport ist das ähnlich?

Da gibt es die großen Radsportländer wie Frankreich und Belgien. Die haben aber nicht mehr Rechte als Marokko, Nigeria oder Thailand, wo der Sport immer noch eine Nische besetzt. Das bedeutet: Wer auch immer diesen nationalen Organisationen entgegenkommt, hat Einfluss. Genau so hat es McQuaid gemacht. Er verbrachte viel Zeit in Afrika und Asien und hat deren Stimme in der Tasche. Ich glaube, dass ich nicht ganz falsch liege, wenn ich behaupte, dass auch der neue IOC-Präsident Thomas Bach in diesen Dingen durchaus bewandert ist.

Welche Wahrheiten erwarten Sie sich denn von der Wahrheitskommission?

Die erste Person, die dort auftreten muss, ist Lance Armstrong. Es ist für alle offensichtlich, dass er nicht alleine in den Dopingskandal hineingerutscht ist. Er hatte Hilfe von Personen in hohen Positionen. Lance Armstrong muss uns erzählen, wer seinen Betrug unterstützt hat. Das ist deshalb so wichtig, weil vieles von dem, was im Radsport in den letzten zehn Jahren passiert ist, nur möglich war, weil Lance Armstrong und die UCI eine so enge Beziehung zueinander hatten – vor allem Armstrong und der frühere UCI-Chef Hein Verbruggen.

Darum ging es auch in dem Interview, das Sie mit Armstrongs früherem Teamkollegen Floyd Landis geführt haben.

Landis sagte mir, dass seine Entscheidung zu dopen auch auf die guten Beziehungen zwischen Armstrong und Verbruggen zurückzuführen ist.

Landis hat suggeriert, dass die beiden Hand in Hand gearbeitet haben. Zudem gibt es weitere Belege, die die UCI belasten. Können Sie sich erklären, warum ein Schweizer Gericht die Klage, die Sie gegen die UCI eingereicht haben, dennoch nicht zugelassen hat?

Ich verstehe das auch nicht. Die Schweiz ist eine Machtbasis des Sports. Vielleicht gab es ja Entscheidungen auf Regierungsebene, die zur Folge haben, dass die Stellung der Sportverbände geschützt werden muss, dass deren Leute nicht verärgert werden dürfen. Das ist die einzige Erklärung, die ich dafür habe, dass man der Staatsanwaltschaft nicht erlaubt hat, eine Anklage zu prüfen. Ich kann es mir nicht anders erklären, es macht einfach keinen Sinn.

Ihr Vater war Radfahrer, Sie waren selbst mehrmals irischer Meister, haben dreimal an der Tour de France teilgenommen, bevor sie aus moralischen Gründen vom Profisport abließen. Was in aller Welt bewegt Sie, sich weiter mit diesen Themen auseinanderzusetzen?

Ich setzte mich nicht weiter damit auseinander. Sollte McQuaid die Präsidentschaftswahl gewinnen, dann war’s das für mich. Wirklich, ich werde gehen, es ist genug. Warum sollte überhaupt irgendjemand noch was mit dem Sport zu tun haben wollen?

In Deutschland scheinen viele Menschen von Radsport genug zu haben. Es gibt kaum noch erstklassige Rennen. Anderswo, in Großbritannien etwa, erlebt er eine nie gekannte Blüte. Die Wachstumsraten sind phänomenal. Wie passt das zusammen?

Ganz einfach: In Deutschland gab es einen großen Champion, jemand, an den die deutschen Fans wirklich glaubten, nämlich Jan Ullrich. Als Ullrich des Dopings überführt wurde, war das ein Verrat an allen deutschen Radsportanhängern, an allen, die Ullrich bewundert und unterstützt haben. In Großbritannien haben die Fans momentan Bradley Wiggins und Chris Froome [die Tour-de-France-Sieger der vergangenen beiden Jahre; Anm. d. Red.]. Viele in Großbritannien bewundern sie und glauben an sie. Sollten die beiden jemals positiv getestet werden, dann wird dort das Gleiche wie in Deutschland passieren.

Haben die Dopingskandale auch Auswirkungen auf das Radfahren als Breitensport?

Kampf um den Radsport

■ Der Titelverteidiger: Der Ire Pat McQuaid ist seit 2005 Präsident des Internationalen Radsportverbands. Am 27. September stellt er sich in Florenz zur Wiederwahl. Dass der Mann, der die zahlreichen Dopingskandale der vergangenen Jahre mehr schlecht als recht verwaltet hat und Lance Armstrong gedeckt haben soll, überhaupt antreten darf, finden viele seiner Kritiker skandalös. Denn weder sein Heimatverband in Irland noch der Verband der Schweiz, wo McQuaid gemeldet ist, haben den 64-Jährigen nominiert. Gerade noch rechtzeitig präsentierte McQuaid Nominierungen aus Marokko und Thailand. Etliche Verbände halten diese für satzungswidrig. Antreten darf McQuaid wohl dennoch.

■ Der Herausforderer: Brian Cookson, der Präsident des britischen Radsportverbands, gehört seit 2009 dem Direktorium der UCI an. Er inszeniert sich als Reformer. Seine Gegner werfen ihm vor, eine Marionette des russischen Öl- und Gasunternehmers Igor Makarow zu sein, dem das in der Vergangenheit immer wieder in Dopingskandale verwickelte Team Katjuscha gehört.

Nein. Dieser Bereich hat einen riesigen Aufschwung erfahren in den vergangenen Jahren – auch in Irland. Während früher Leute meines Alters – ich bin 51 – Golf gespielt haben, gehen sie jetzt zum Radfahren über. Das hat auch gesundheitliche Gründe. Es ist ein fantastischer Sport. Ich habe immer versucht, meine Kinder für das Radfahren zu begeistern – nicht als Profisport, sondern als Hobby. Meine Tochter, die 23 ist, fährt Rennrad. Bei meinen Söhnen hat das nicht geklappt.

Die wachsende Popularität des Rennradfahrens als Freizeitsport ist ein Wirtschaftsfaktor geworden. Kann das der Weg sein, den professionellen Radsport zu verändern? Wer gute Geschäfte machen will, kann wohl kaum Interesse an falschen Helden haben.

Ich hoffe das. Aber die Angst vor Reaktionen aus der Geschäftswelt ist auch ein Grund für das Verhalten der UCI in den vergangenen Jahren, ein Grund, warum man sich gescheut hat, das wahre Ausmaß des Dopings anzuerkennen. Wirtschaftlich hätte so was geschadet. So wie 2006.

Damals stürzte der Radsport nach dem Blutdopingskandal um Eufemiano Fuentes regelrecht ab.

Die Konstellation ist heute leider auch nicht viel anders. Es gibt sowohl die Doper als auch die Angst vor den Reaktionen der Geschäftspartner auf Dopingskandale.

Was Sie erzählen, hört sich an wie ein Krimi. Haben Sie jemals Angst um Ihr Leben gehabt?

Die Menschen, die im internationalen Sport Funktionen haben, haben viel Macht und Geld. Ich würde es nicht ausschließen, dass es so weit kommen könnte. Aber persönlich habe ich so etwas noch nicht erfahren müssen.

Herr Kimmage, möchten Sie nach einer Wiederwahl McQuaids nicht doch weiterhin über den Radsport schreiben?

Ich hoffe inständig, dass McQuaid nicht gewählt wird.