: Die gefallene Eiche
Die Götterdämmerung des Oliver Kahn ist mit der Niederlage gegen Werder Bremen endgültig eingetreten: Keiner hat mehr Angst vor dem „Titan“ im deutschen Tor. Respekt verdient er trotzdem
VON JAN FEDDERSEN
Der Ton, sowohl Rolf Töpperwiens wie Béla Réthys vom ZDF, war unangemessen. Auch das wahrscheinlich echte Mitgefühl Waldemar Hartmanns in der ARD mochte zu den Bildern, die da in Bremen, beim Auswärtsspiel des FC Bayern München, aufgenommen wurden, nicht nahtlos zur Story passen: Armer Oliver Kahn, eben vom Bundestrainer ausgebootet als Nummer eins der Nationalelf, kann doch nichts dafür, dass er drei Tore kassieren muss. Als ob das Dasein als Keeper ein schicksalergebenes wäre!
Nummer eins in Reserve
Nein, Oliver Kahn, 36 Jahre alt, der zum „Titan“ stilisierte, sah nicht so aus, als bräuchte er Mitgefühl. Kein Leid mit einem, der so sehr siegen wollte, dass er nie gewann. Der die alte Triumphatorenregel nicht respektierte, dass nur gewinnt, wer sein Schicksal nicht an einen Sieg knüpft. Kahn wirkte eher ratlos, entnervt und im Kamerazoom tatsächlich nur wie ein Titandarsteller, der niemandem mehr Angst macht. Nicht einem Bastian Schweinsteiger, der ihm ein Eigentor bereitet, nicht den gegnerischen Stürmern Jensen oder Borowski: Der „Titan“ bekam Freitag offiziell durch Klinsmann mitgeteilt, dass man in ihm keine allererste Wahl mehr erkennen möchte. Und das ist vielleicht das Allerschlimmste: Nur noch eine Nummer eins in Reserve zu sein.
Dass da einer ihm vorgezogen wird – und das trotz all der mächtigen Fürsprecher: Die Bild-Zeitung, Franz Beckenbauer, der FC Bayern München – der Adel des Gewerbes quasi. Es hat ihm nichts genützt, denn die bürgerliche Klasse, wenn man so will, glaubt an ihn nicht mehr. Für moderner, weil international versierter hält man einen Mann, dem kein Titanismus eigen scheint, sondern eine gewisse Freude am Spiel und an Lernfähigkeit: Jens Lehmann.
Oliver Kahn – ein auslaufendes Modell in der Rolle des Tormanns, dieses Kind eines Baltendeutschen, das in seinem Leben den gesellschaftlichen Aufstieg als Aufgabe eingeatmet hat und dies auch mimisch nicht verhüllen kann: ein wütender Mann, der nie gelöst lacht, sondern ein Zähneblecken zeigt, das wie ein Knurren aussieht.
Insofern war das Spiel gegen Werder Bremen vorgestern ein ästhetischer wie sportlicher Nachruf in eigener Sache: ein Mann, der alles zu halten beansprucht – und doch nichts halten kann. Nicht seinen Zorn, nicht seine Verzweiflung, aber dafür allen Kummer, den er jetzt natürlich fühlt: Aber eine Eiche weint nicht, die fällt man nur. Kahn wird sich gefällt empfinden. Ein Nieruhender, ein Umtriebiger, der mutmaßlich selbst nicht weiß, was er da mit sich anstellt: ehrgeizig aus Schmach und Nichtanerkennung.
Stetig unter Dampf
In seinem Kopf mag vor allem die Niederlage im WM-Endspiel 2002 in Japan eine Spur hinterlassen haben. Statt sich zu freuen, Vizeweltmeister geworden zu sein, blieb nur der Ansporn, es allen zu zeigen. Das hat ihn Fehler machen lassen. Wer unter Dampf steht, hat immer das Risiko auf seiner Seite, nicht makellos bleiben zu können.
Aber hat er nicht selbst Schuld, sie immer in Kauf genommen? Wer im Tor steht, bleibt allein. Bewacht die Linie. Zehn gegen einen: Das hat Oliver Kahn gewollt – ein Fußballer, dessen Vermögen für das Miteinander-Spiel auf dem Feld nicht ganz langt, der aber den „Kasten sauber hält“, wie ein deutscher Spruch lautet. Ein Mann auf einem Posten, der sich Spiel für Spiel der Chance aussetzt, bezwungen zu werden. Das kann glorios gelingen, das muss am Ende scheitern: Dies nicht persönlich zu nehmen, ist Kahn nie gelungen. Er, der sich quasi zum germanischen Letztwall vor dem Sturm der fußballerischen Moderne stilisieren ließ, konnte nur, Spiel für Spiel, ex oder hopp. In der Sprache der deutschen Soldaten des mittleren 20. Jahrhunderts: „Tod oder Leutnant“.
Jens Lehmann von Arsenal London mag auch nicht ganz die Antithese zu Kahn sein – doch zumindest hat er auf internationaler Ebene lernen müssen, dass der Torhüter immer Teil des Spiels ist, nicht die letzte Rettung der einen Hälfte jeder Partie. Er lächelte froh, als er von seiner Nominierung hörte. Sah aus wie einer, der sich endlich anerkannt fühlt – vom Trainer. Auf den kam es an, nicht auf die Großkopferten der Branche.
Motiviert durch Anbrüllen
Auf jene Männer, die Motivation auf Anbrüllen reimten und Erfolg für das Resultat von Kommandotönen halten. Die Fußball noch in den Sechzigern und Siebzigern inhalierten – und darob, selbstbesoffen, die globale Moderne aus dem Blick verloren.
Kahn wird auf Mitleid rechnen können. Er hätte so sehr gewollt – und soll doch nicht. Er ist „maßlos enttäuscht“, und das ist verständlich, auch wenn man gern wüsste, was er unter „maßlos“ versteht. Er kann jetzt platzen vor Wut, sie begreifen als eine, die nicht viel mit Fußball zu tun hat, sondern zunächst mit ihm selbst.
Er stand sich selbst am meisten im Wege. Er verdient Respekt, irgendwann. Wenn sein Dampf verflogen ist.