Mit dem Taxi zu Rudi Dutschke

Thomas-Dietrich Lehmann bietet eine Tour durch Berlin auf den Spuren des Studentenführers an. Start und Ziel ist in der künftigen Rudi-Dutschke-Straße. Eine Testfahrt 38 Jahre nach dem Attentat

VON CHRISTOPH VILLINGER

Auf dem Tag genau vor 38 Jahren, am 11. April 1968, nähert sich gegen Mittag ein junger Mann mit einem Revolver in der Tasche am südlichen Kurfürstendamm einem jungen Familienvater. „Sind sie Rudi Dutschke?“, fragt Josef Bachmann. Als dieser bejaht, schießt Bachmann ihm drei Kugeln in den Kopf. Schwer verletzt liegt der Anführer der Studentenbewegung am Boden, nur dank rascher medizinischer Hilfe überlebt er. Bis er elf Jahre später doch noch den Spätfolgen des Attentats durch den rechtsextremen Hilfsarbeiter erliegt.

Heute startet der Berliner Taxifahrer Thomas-Dietrich Lehmann mit seinen etwa dreistündigen Taxi-Stadtrundfahrten auf den Spuren des Studentenführers. Startpunkt: das taz-Café in der heutigen Kochstraße, bald Rudi-Dutschke-Straße. Nach wenigen hundert Metern in Richtung Osten passiert man mit dem Taxi das Springer-Hochhaus. Lehmann, geborener Berliner, erzählt seinen Fahrgästen, wie es früher hier aussah. „Links das Springer-Hochhaus als Fanal gegen die DDR, dahinter die Mauer, und rechter Hand ein riesiger Parkplatz voller Auslieferungsfahrzeuge.“

Blick zurück auf Springer

An dieser Stelle entlud sich am Abend jenes Gründonnerstags die Wut von etwa 5.000 Demonstranten, berichtet Lehmann. Für sie sei klar gewesen: „In Wahrheit hatte der Verleger Axel Springer mit seiner Bild-Zeitung geschossen.“ Mehrere Lieferfahrzeuge brennen in dieser Nacht, Dutzende werden demoliert. Inzwischen ist der Kampf gegen das Pressemonopol des Springer-Konzerns ebenso wie der kaum noch sichtbare Verlauf der Mauer weitgehend ein Konflikt von gestern.

Der 50-jährige Taxifahrer Lehmann ist ein Fan jüngerer Geschichte. Seit Jahren bietet er erfolgreich noch eine weitere Taxi-Tour an: In Zusammenarbeit mit der Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße fährt Lehmann zwei Stunden lang den Verlauf der Grenzanlagen in der Innenstadt ab. Das Taxi ermöglicht – im Unterschied etwa zu Stadtspaziergängen –, mit einer kleinen Gruppe von interessierten Zuhörern in kurzer Zeit viele Orte anzufahren. Dazwischen bleibt beim Halt an roten Ampeln immer wieder Zeit, um über das Gesehene zu sprechen und zu diskutieren. Mit diesem Konzept folgt Lehmann nun den Spuren Dutschkes. „Sicher kann man Geschichte nicht auf eine Person projizieren“, sagt der studierte evangelische Theologe, „aber Epochen macht man eben am besten anhand von Biografien verständlich.“

So kurven die vier Fahrgäste und ihr Fahrer mit dem Taxi durch die engen Straßen der Ostberliner Innenstadt zur Humboldt-Uni. Hier lehrte der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel, ohne den man weder das Denken von Karl Marx noch von Rudi Dutschke verstehen kann. Kurz darauf geht es am Dorotheenstädtischen Friedhof vorbei, auf dem Herbert Marcuse begraben liegt. Mit seiner Randgruppentheorie ist der seit den 30er-Jahren im US-amerikanischen Exil lebende neomarxistische Soziologe einer der wichtigsten Vordenker der Studentenbewegung von 1968. Gleich um die Ecke liegt die Chausseestraße 131. Hier wohnte der bis zu seinem Rauswurf aus der DDR 1976 mit einem Auftrittsverbot belegte Liedermacher und Freund Dutschkes, Wolf Biermann.

Begleitet von kurzen Ausführungen zu Dutschkes Denken zum Verhältnis von „Reform und Revolution“ passiert das Taxi die Bundeszentrale der Grünen am Platz am Neuen Tor, den Moabiter Knast und das dortige Gerichtsgebäude, um schließlich am Audimax der Technischen Universität (TU) zu landen. Hier fand im Februar 1968 der legendäre Vietnam-Kongress statt, aber auch 1978 der Tunix-Kongress, in dessen Folge unter anderem die taz entstand. Doch Lehmann interessiert jetzt mehr der Steinplatz, auf dem früher die Kiffer und „Gammler“ auf dem Rasen ihre Joints rauchten. Im nahe gelegenen Café am Steinplatz lernte Dutschke 1964 die US-Amerikanerin Gretchen Klotz, seine spätere Ehefrau, kennen. Drei Kinder ziehen die beiden im Lauf der Jahre groß.

Vorbei an der Kommune 1

„Keine Sperrzeiten, kein Sperrbezirk und keine Wehrpflicht“, so fasst Lehmann die damalige Attraktivität Westberlins zusammen. Am Stuttgarter Platz befand sich gleich über einem Puff in einer großen bürgerlichen Wohnung die legendäre „Kommune I“. Viel wurde über Emanzipation und freie Liebe diskutiert – „doch es war keine Frage, wer geputzt und gekocht hat“, so Lehmann. Bei diesem Thema werden Lehmanns Ausführungen über die 68er sehr reflektiert. An anderen Stellen kann er seine Begeisterung für Dutschke und dessen Zeit kaum bremsen.

Nach einem Schlenker an der Deutschen Oper vorbei – hier erschoss am 2. Juni 1967 ein Polizeibeamter Benno Ohnesorg, der gegen den Besuch des Schahs von Persien demonstrierte – führt die Tour nun nach Dahlem, zur Freien Universität (FU). An der studierte Dutschke und an deren Otto-Suhr-Institut (OSI) präsentierte er 1974 seine Doktorarbeit mit dem Versuch, „Lenin auf die Füße zu stellen“. Wenige Jahre zuvor, 1967, versteckte sich der südlich von Berlin in Luckenwalde aufgewachsene Studentenführer mit seiner Familie nicht weit vom OSI während der Pogrom-Stimmung „gegen die Langhaarigen“ bei seinem Freund, dem Theologen Helmut Gollwitzer. Und ebenfalls nicht weit vom FU-Campus entfernt liegt er auf dem Friedhof der St.-Annen-Gemeinde begraben.

Auf der Rückfahrt nach Kreuzberg erzählt Lehmann, der Anfang der 80er-Jahre in der Hausbesetzerbewegung aktiv war, noch kurz über die „Nebenwirkungen von 1968“, zum Beispiel das von Arbeiter-Jugendlichen Anfang der 70er-Jahre besetzte Tommy-Weisbecker-Haus oder den von der Alternativbewegung 1980 gekauften Mehringhof. Schließlich endet die Tour nach drei Stunden wieder vor dem Redaktionsgebäude der taz, dem Rudi-Dutschke-Haus.

Kontakt: www.taxi-wall-fahrten.de oder Telefon: (01 60) 95 32 80 52