: Gabriel macht aus den Grünen die FDP
ROT-GRÜN Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz demonstrieren SPD und Grüne Einigkeit im Landtagswahlkampf für Nordrhein-Westfalen, können sich Sticheleien aber nicht verkneifen
SIGMAR GABRIEL, SPD-VORSITZENDER
Es hatte ihn geärgert, das ist klar. „Jetzt hört mir auf“, schleuderte SPD-Chef Sigmar Gabriel Cem Özdemir entgegen, „ich bin aus der SPD fast ausgeschlossen worden, weil ich gegen Atomkraft war – da gab es euch noch gar nicht.“
Einen Moment zuvor hatte Grünen-Chef Özdemir darauf hingewiesen, dass man bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen mit der Zweitstimme ja auch grün wählen könne, wenn einem die Energie-, besonders die Kohlepolitik der SPD nicht passe. „Das Wahlrecht gibt dazu die Möglichkeit“, sagte er. Und den Grünen, das hat Özdemir nicht gesagt, die Möglichkeit, mit den gewonnenen Stimmen im Zweifelsfall auch in eine Koalition mit Jürgen Rütters’ CDU abzudampfen. Dass Özdemir so explizit um Zweitstimmen seiner Tischnachbarn in der Bundespressekonferenz warb, darf getrost als Affront verbucht werden.
Gabriels offener Widerspruch war bemerkenswert in einer Presseveranstaltung, die doch eigentlich vor allem Gemeinsamkeiten betonen sollte. Er zeigte aber: Die Einigkeit von Rot und Grün ist tatsächlich so zweckmäßig angelegt wie beide Parteien immer betonen, ja, sie ist kühl berechnend. Wenn es für eine Koalition reicht, dann ist es gut. Wenn nicht, findet sich bestimmt auch eine andere Mehrheitsbeschafferin.
Mit Spannung war die Pressekonferenz in Berlin erwartet worden, bei der neben Gabriel und Özdemir auch Claudia Roth für die Grünen und die angereisten Spitzenkandidatinnen aus dem Landtagswahlkampf, Sylvia Löhrmann (Grüne) und Hannelore Kraft (SPD) teilnahmen.
Lange ging es dann auch gut mit der demonstrativen Einigkeit. Man habe „hervorragende Ausgangsbedingungen“, sagte ein vom Südafrikaurlaub gebräunter Sigmar Gabriel, „Rot-Grün ist eine Zukunftskoalition“. Und Claudia Roth fügte hinzu, mit „jedem Tag wird Rot-Grün wahrscheinlicher“. Die Landeschefinnen Löhrmann und Kraft betonten schließlich in ausführlichen Statements die offensichtlichen Gemeinsamkeiten der beiden Parteien in der Bildungs- oder Sozialpolitik. Die Harmonie störte eigentlich nur Cem Özdemirs kleiner Hinweis aufs Wahlrecht.
Gabriel wäre nicht Gabriel, wenn er es bei dem einen beschriebenen Konter belassen hätte. Er hatte noch einen auf Lager. Wenn überhaupt SPD und Grüne zusammen ein „Projekt“ bilden würden, dann doch bitte ein, so der SPD-Parteichef, „sozialliberales Projekt – das hätte ich gerne wieder“. Mit der FDP ginge das nicht, führte Gabriel aus, während sich Özdemir zu überlegen schien, welchen Gesichtsausdruck er dazu aufsetzen sollte, nun als Liberaler bezeichnet worden zu sein. „Die Grünen sind die liberale Partei in Deutschland – eine andere haben wir nicht“, sagte Gabriel. Mehr Zweckbündnis geht nicht.
GORDON REPINSKI