: Von überall zur CDU
WANDERUNG Angela Merkel konnte aus fast allen Milieus und politischen Lagern – auch des linken – Stimmen gewinnen
BERLIN taz | Als der FDP nach der Landtagswahl in Bayern dämmerte, dass es um ihr Überleben geht, klammerten sich die Liberalen an die Hoffnung, Anhänger der Union würden für sie stimmen. Das Ergebnis der Bundestagswahl zeigt: Das Gegenteil ist geschehen.
CDU und CSU bekamen fast 3,6 Millionen Stimmen mehr als vor vier Jahren – und dieser Gewinn geht zum allergrößten Teil auf Kosten der Liberalen. Über 2,1 Millionen enttäuschte FDP-Anhänger wählten am Sonntag Angela Merkel. Damit haben die Freidemokraten mehr Stimmen an die Union verloren, als ihnen selbst am Ende blieben: Sie konnten nur rund 2,08 Millionen Menschen überzeugen.
Über eine halbe Million Wähler wanderten von den Liberalen zur SPD, in ähnlicher Größenordnung liegt auch der Aderlass an die erstmals angetretenen Eurogegner von der Alternative für Deutschland (AfD).
Angela Merkel hingegen vermochte nicht nur den bürgerlichen einstigen Koalitionspartner zu fleddern. Sie zog auch 420.000 ehemalige Grünen-Wähler und sogar 120.000 Exanhänger der Linken an. Zudem mobilisierte Merkel am Sonntag mehr als 1,1 Millionen ehemalige Nichtwähler.
Damit ist die Union, angefangen bei den Erstwählern, in allen Altersgruppen die stärkste Partei. Das gilt auch für die sozialen Milieus: Mit Ausnahme der Arbeitslosen – bei ihnen hat die SPD einen hauchdünnen Vorsprung – wurde die CDU bei Arbeitern, Angestellten, Beamten und Selbstständigen stärkste Partei. Die demografische Entwicklung, auch das zeigt das Wahlergebnis, spielt der CDU klar in die Hände: Unter den Rentnern stimmte jeder zweite für Angela Merkel.
Verluste hat die CDU einzig in zwei Richtungen zu beklagen: Rund eine halbe Million ihrer einstigen Wähler sind seit 2008 verstorben – und rund 290.000 wandten sich der AfD zu.
Die Neupartei sammelte mehr oder weniger aus dem Stand 2,02 Millionen Zweitstimmen. Neben den Liberalen bekam dies vor allem die Linke zu spüren: Sie verlor fast 340.000 Wähler, etwa jeden zehnten, an die rechtsliberalen Eurogegner.
Die zwischenzeitlich hoch gehandelten Piraten stürzten ab: Mit rund 960.000 Zweitstimmen kamen sie nur auf 2,2 Prozent. Mit FDP und AfD zählen sie damit zu den 28 Gruppierungen, die an der 5-Prozent-Hürde scheiterten.
Zwar stimmte mit über 4,7 Millionen Stimmen fast jeder neunte Wähler für die Kleinparteien. Gleichwohl hatten Esoteriker, Rechtsradikale, Fundamentalisten am Sonntag keine Chance: Für die NPD blieb mit 1,3 Prozent – 560.000 Zweitstimmen – der Einzug in den Bundestag unerreichbar. Die übrigen rechten Parteien – Pro Deutschland, Die Rechte und „Republikaner“ – konnten zusammen nur rund 160.000 Wähler mobilisieren.
Einen Achtungserfolg erzielte hingegen die Spaßpartei der Frankfurter Satirezeitschrift Titanic: Sie bekam bundesweit rund 78.000 Zweitstimmen.
CHRISTIAN JAKOB