: „Die Euphorie wäre nicht zu stoppen“
Grünen-Vorstand Omid Nouripour (30) über die Fußballbegeisterung in seinem Geburtsland Iran, über eine Achtel-Revolution und den Unterschied zwischen Champions und Helden
INTERVIEW THILO KNOTT
Herr Nouripour, herrscht wieder Frieden zwischen Ihnen und Ihrem Parteifreund Daniel Cohn-Bendit?
Omid Nouripour: Wegen seiner Forderung, den Iran von der WM auszuschließen?
Genau.
Ach, Dany kann doch damit umgehen, wenn man eine andere Meinung vertritt. Wir haben das noch mal durchdiskutiert.
Konnten Sie ihn überzeugen?
Wir sind uns nicht wirklich näher gekommen in der Frage: WM-Ausschluss oder nicht. Er hat zumindest eingesehen, dass es bessere Instrumente gibt in der Auseinandersetzung mit dem Atomprogramm des Iran.
Cohn-Bendit hat gesagt, er wolle keinen „Nazi in Nürnberg“ haben.
Da liegen wir gar nicht auseinander.
Wie bitte?
Wenn Staatspräsident Ahmadinedschad zum Vorrundenspiel des Iran gegen Mexiko nach Nürnberg reisen will, dann sollte die Bundesregierung ihm die Einreise verbieten.
Also Ausschluss für Ahmadinedschad.
Einer, der den Holocaust leugnet, kann hier nicht willkommen sein. Da redet Innenminister Schäuble gefährlichen Unsinn. Er kann nicht Antisemiten im Inland bekämpfen wollen und die aus dem Ausland willkommen heißen.
Ahmadinedschad würde das zur Propaganda für sein Atomprogramm nutzen.
Na und? Die Menschen im Iran scharen sich nicht um Ahmadinedschad. Sie scharen sich um das Atomprogramm, um ihr Recht auf nationale Souveränität. Deswegen wäre es keine Demütigung für das iranische Volk, wenn der Mann nicht einreisen dürfte.
Das wäre bei einem Ausschluss des Nationalteams anders?
Das würde zu Agonie bei der Mehrheit der Iraner führen. Die meisten Iraner sehnen sich nach internationaler Anerkennung, nach internationalen Beziehungen. Bei einem WM-Ausschluss würden all die Menschen nach Hause gehen, die ansonsten Jubelfeste in Teheran feiern würden, die die Revolutionswächter vorführen würden, weil diese gegen Hunderttausende auf der Straße nichts ausrichten könnten. Diese Menschen würden sich zurückziehen mit fatalen Folgen für die Zivilgesellschaft.
Warum ist Fußball so wichtig?
Fußball ist neben dem Internet das zentrale Modernisierungselement in der iranischen Gesellschaft. Ich mache das immer an der in vielen Zeitungen geführten Auseinandersetzung um die Begriffe Held und Champion fest.
Held und Champion?
Der Held kommt immer in den alten Sagen vor. Er betreibt den alten Kultursport Ringkampf. Der Ringkämpfer kann auch mal verlieren, weil er seinen Gegner achtet und respektiert. Für den ist Demut die absolute Tugend. Der trägt dann auch mal seinen Bezwinger auf Schultern durch die Sporthalle.
Das macht ein Champion nicht.
Der will nur gewinnen, kann nicht verlieren, ärgert sich und tritt gegen Gatorade-Werbetrommeln …
… Moment, das war Jürgen Klinsmann.
Aber der iranische Fußballer würde das auch tun. Für den zählt nur der Leistungsgedanke. Das macht die Moderne aus. Oder nehmen Sie die Frisuren der Helden und der Champions.
Die erkennt man am Haarschnitt?
Ringer immer ganz kurz. Die Nationalspieler fast alle lang. Das gefällt den Konservativen überhaupt nicht.
Held und Champion stehen für die Konservativen und die Reformer im Land?
Der frühere Staatspräsident Chatami, der Reformer und zumindest anfangs der Hoffnungsträger der Bevölkerung war, hat immer betont: Er ist Fußball-Fan! Der geistliche Führer, Ajatollah Chamenei, ist dagegen Ringkampf-Fan.
Lässt sich diese Begeisterung für den Fußball wieder zurücknehmen, wenn jetzt mit Ahmadinedschad ein Konservativer an der Spitze steht?
Ab einem bestimmten Grad der Euphorie ist das definitiv nicht mehr rückgängig zu machen. Das sieht man in dem Film „Offside“…
… dem iranischen Wettbewerbsfilm der letzten Berlinale, in dem drei Frauen versuchen, ins Fußballstadion zu kommen, obwohl es ihnen verboten ist …
… die werden von der Polizei entdeckt und in Gewahrsam genommen. Aber zum Schluss, als das Spiel gewonnen ist, gibt es kein Halten mehr. Für niemanden. Und die Frauen tauchen in der Jubel-Party unter, ohne dass die Polizei etwas dagegen tun kann. Das ist ansteckend.
Ist Fußball stiller Protest?
Am Anfang der Revolutionszeit war es so, dass einem eingetrichtert wurde: Der Iran, als Nation, spielt keine Rolle mehr, sondern nur noch die Religion. Der Fußball, die Nationalmannschaft war immer die Manifestation des Gegenteils. Die Fans schreien im Stadion nicht „Allah-u-akbar“, Gott ist groß, sondern „Iran, Iran“. Als die Iraner 98 bei der WM die USA geschlagen haben …
… mit 2:1 …
… da haben die Freitagsprediger gepriesen, das sei ein Werk Gottes gewesen. Das hat aber niemand ernst genommen. Weil es doch großartig war, wie sich iranische und US-amerikanische Spieler vor der Partie gemeinsam zum Gruppenfoto aufgestellt haben. Ein großer Sieg damals für den Reformer Chatami, eine große Blamage für die Konservativen.
Ajatollah Chamenei hat nach dem WM-Sieg gegen die USA gesagt: „Ein weiteres Mal hat der Unterdrücker den bitteren Geschmack der Niederlage verspürt.“ Es geht um Deutungshoheit über den Fußball.
Sicher. Das ist ein völlig normales Instrument nichtdemokratischer Regime. Das war ja auch in der DDR so und der Vereinnahmung des olympischen Medaillenspiegels. Da geht es um den Beweis der ideologischen Überlegenheit. Ahmadinedschad versucht nun, auch das nationale Element der Fußball-Euphorie für seine politischen Ziele zu nutzen. Nur: Die Mehrheit der Bevölkerung ist dafür nicht anfällig. Die Leute sind schlicht fußballwahnsinnig.
Sagt man sich als Jugendlicher: Ich will Profi bei Persepolis Teheran oder bei Real Madrid werden?
Als Jugendlicher will man zum FC Bayern München.
Im Ernst?
Mein größtes Vorbild als kleiner Kicker war der FC Bayern. Ich war Rummenigge-Fan. Und ich habe geweint, als der zu Inter Mailand gewechselt ist.
Warum?
Ja, das geht nicht, von den Bayern wegzugehen. Ich habe mir damals ein iranisch-deutsches Wörterbuch genommen und ihm einen Brief geschrieben.
Hat er geantwortet?
Ach was.
Wollen heute immer noch alle iranischen Jungs in die Bundesliga? Kaum vorstellbar!
Doch. Im Iran ist die Bundesliga die stärkste Liga der Welt. Das hat aber auch damit zu tun, dass man die Bundesliga im Fernsehen empfangen kann.
Ach deshalb.
Nicht nur. Ali Daei, der absolute Held …
… Moment, Champion …
… ja, Champion. Daei ist eben in die Bundesliga gewechselt. Karimi, Mahdavikia, Hashemian – alle spielen sie in der Bundesliga.
Sehen Sie auch bei dieser WM die Gefahr, dass die WM von den Konservativen politisch aufgeladen wird?
Naja, es wird bei Fernsehübertragungen durch das iranische Staatsfernsehen sicher Laufbänder unten am Bildschirm geben, auf denen drauf steht: Die Anreicherung von Uran ist unser völkerrechtlich garantierter Anspruch. Ich glaube aber, dass die Spieler nicht mit T-Shirts rumlaufen, auf denen das Atomprogramm gefordert wird.
Stärkt es die Mullahs, wenn der Iran die Gruppenphase übersteht?
Nein. Man stelle sich doch mal vor, die kommen ins Finale.
Sehr unwahrscheinlich.
Klar, aber dann hätte die iranische Mannschaft sieben Spiele. Und sieben Mal gäbe es auf den Straßen von Teheran ein großes Fest. Am Ende gäbe es zwar keine Revolution, aber dann soll mir doch jemand erklären, wie diese Dynamik, diese Euphorie im Land dann noch zu stoppen wäre.
Ja, dann viel Glück!
Dann spielen nicht nur fünf Iraner im Ausland, sondern 25 – alles Multiplikatoren. Gesellschaftlich wäre das ein großer Sprung in Richtung Moderne.
Achtelfinale wäre dann quasi eine halbe Revolution.
Naja, wir wollen’s nicht übertreiben: eine Achtel-Revolution.
Dieses Gespräch ist ein Vorabdruck aus dem taz-Journal „Es ist Liebe“ zur Fußball-WM. Es erscheint am 26. April