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Archiv-Artikel

Frei verkörpert

FEMINISTISCHE PERFORMANCE In ihrer „Untitled Feminist Show“ untergräbt die Brooklyner Dramatikerin Young Jean Lee vermeintlich feststehende Geschlechtszuschreibungen

VON ROBERT MATTHIES

Fasziniert ist Young Jean Lee vom Unbequemen. Am Beginn jedes Stückes der aus Südkorea stammenden US-amerikanischen Dramatikerin, die in New York derzeit als eine der abenteuerlustigsten Theatermacherinnen gilt, steht die Überzeugung, das Stück gar nicht schreiben zu können.

Doch dann zwingt sie sich dazu. Um aus der Komfortzone zu kommen, ihre Vorannahmen herauszufordern und mit jeder Menge bösem Humor Wege zu finden, die Widerstände des Publikums gegen unbequeme Themen zu unterlaufen.

Vor zwei Jahren hat sich Lee so den Feminismus vorgenommen. Oder besser: die Feminismen. Denn die „Untitled Feminist Show“, die ab Donnerstag auf Kampnagel zu sehen ist, ist Ergebnis eines kollektiven Entstehungsprozesses.

Auf der Bühne stehen sechs Künstlerinnen aus der New Yorker Experimentaltheater-, Burlesque-, Travestie- und Alternativ-Cabaret-Szene, die eigenwilliger nicht sein könnten: Die Performerinnen Becca Blackwell und Katy Pyle, die Burlesque-Faux-Queen World Famous *BOB*, die Cabaret-Künstlerin Amelia Zirin-Brown alias Lady Rizo und die Tänzerinnen Hilary Clark und Regina Rocke.

So unterschiedlich deren Auffassungen von Feminismus auch sind – Blackwell etwa definiert sich gar nicht als Frau –, einig sind sie sich in einem gewesen: Eine Performance über Geschlecht kann nur dessen permanentes Fließen zum Thema haben. Es muss um die Darstellung und Unterbrechung erzwungener Identität gehen. Und so ist die „Untitled Feminist Show“ eine 75-minütige Non-stop-aus-dem-Bauch-Auseinandersetzung mit feministischen Paradigmen, in deren Verlauf jeder Arche- und Stereotyp, jede Karikatur und Konstruktion des Weiblichen in einer chaotischen Vermischung aller Wellen des Feminismus performt wird.

Verzichtet hat Lee dabei auf alles, was im Theater die Identifizierung bequem macht. Wie sehen wir diese Frauen, wenn wir auf Worte, Kostüme, Bühnenbild und Requisiten verzichten müssen? Wie sehen wir weibliche Körper? Sehen wir überhaupt Frauen?

Denn getanzt wird in diesem Episodenstück, dessen stilistische Bandbreite von schwärmerischen Pas de deux über orgienhafte Verrenkungen bis zur komödiantischen Pantomime reicht, ausnahmslos nackt. Um eine disparate Matrix von Körpern heraufzubeschwören, die das Publikum permanent mit dem konditionierten Impuls konfrontiert, Zuschreibungen von Geschlecht auf nackte Körper im Raum anzuwenden.

Eigentümliche Charakterskizzen entstehen so. Zu Beginn jeder Szene positionieren sich die Performenden noch in einem vertrauten Kontext. Bald aber wird jede Skizze sperrig, werden die Tanzenden zu unvorhersagbaren, unbegrenzten Versionen ihrer selbst, sickern in die Randbereiche und gleiten ins Jenseits normativer Erwartungen.

So wird der Körper zugleich zum Ort der Unterdrückung und zum Ort eines kritisch-kreativen Widerstands. Und die „Untitled Feminist Show“ wird zur hochenergetischen Meditation über diese Dialektik und zur ekstatischen Feier der Handlungsfähigkeit. Ein Plädoyer für das richtige feministische Utopia sucht man darin allerdings vergeblich – das wäre ja auch alles andere als unbequem.

■ Do, 3. 10. bis So, 6. 10., je 20 Uhr, Kampnagel