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Archiv-Artikel

Geld oder Leben

BILDUNG 20 Jahre lang wurde das anerkannte Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur LesArt vom Senat unterstützt. Jetzt wird dem Verein mit Entzug der Förderung gedroht – wenn er nicht seine Immobilie in bester Lage dem Land überschreibt

Geht es um eine lukrative Immobilie, die durch den Liegenschaftsfonds verscherbelt werden soll?

VON ULRIKE STEGLICH

Eigentlich hätte LesArt allen Grund zum Feiern gehabt: Seit genau 20 Jahren besteht das Kinder- und Jugendliteraturhaus in der Weinmeisterstraße 5 in Mitte. Inzwischen gilt es mit seinen vielfältigen Literaturangeboten nicht nur in Deutschland als einzigartige Einrichtung. Man könnte die Arbeit in nackten Zahlen ausdrücken: Jährlich 400 Veranstaltungen, über 10.000 Kinder und Jugendliche, denen mit Veranstaltungen, Workshops, Festen oder in jungen Redaktions- und Kritiker-Gruppen Literatur ans Herz gelegt wird. Das Kollegium der Grundschule an der Marie drückt es so aus: „Fortbildung für uns Lehrer, Begegnungen mit Schriftstellern und Illustratoren, literarische Abende und Spaziergänge, wechselnde Ausstellungen, Lesenächte, anspruchsvolle literarische Projekte in und außerhalb der Räume von LesArt. Unsere Schüler lieben es.“

Doch nun wird dem bekannten Literaturzentrum mit dem Entzug seiner Förderung gedroht. Die fällt mit bislang 290.174 Euro jährlich ohnehin sehr bescheiden aus. Deshalb wollte LesArt zusammen mit vier anderen namhaften Berliner Literatureinrichtungen, die sich zur Berliner Literaturkonferenz zusammengeschlossen haben, im April vor dem Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses um eine Mittelaufstockung werben – schließlich sind ihre Etats seit 15 Jahren unverändert, trotz Euro-Umstellung und Inflationsraten, was für die Häuser seitdem im Schnitt einen realen Verlust von etwa 25 Prozent bedeutete. In der Anhörung wurde von allen Fraktionen der Literaturstandort Berlin hoch gepriesen.

Doch im September brachten SPD und CDU in den Haushaltsberatungen des Kulturausschusses so lapidar wie überraschend einen Änderungsantrag für LesArt ein: „Förderung ab 2015 erst nach Übertragung des Grundstücks an das Land Berlin in 2014.“ Der Verein soll also nur noch gefördert werden, wenn er sein Grundstück, nahe dem Hackeschen Markt gelegen, dem Land überschreibt.

Dieser Vorgang ist für erfahrene Parlamentarier höchst ungewöhnlich. Und er ist angesichts der Vorgeschichte auch verblüffend: Das Literaturzentrum LesArt, getragen von einem gemeinnützigen Verein, hat seine Räume seit 1993 in der Weinmeisterstraße, einem damals halb verfallenen Altbau- und Arbeiterquartier, das jedoch in den 1990er Jahren sehr schnell attraktiv und teuer wurde. Investoren gierten nach den lukrativen „Filetstücken“ in zentraler Lage. Gleichzeitig kürzte das Land Berlin an allen Ecken und Enden Gelder, auch Mieten für kommunale Einrichtungen. Im Jahr 2000 sollte das Grundstück in der Weinmeisterstraße durch die bundeseigene Oberfinanzdirektion höchstbietend verkauft werden – was das Aus für das Literaturzentrum als Mieter bedeutet hätte. Doch vehement hatte damals das Land Berlin diverse Kauf- und Übertragungsangebote abgelehnt, ebenso wie eine Bürgschaftsübernahme. Deshalb nahm der gemeinnützige Trägerverein alle Kräfte zusammen und erwarb mit der Unterstützung von mehr als 180 Privatbürgen und der genossenschaftlich organisierten GLS-Bank (Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken) das Grundstück samt Haus selbst.

Die Kulturverwaltung stimmte dem Vorhaben zu. Seitdem verwendete der Trägerverein in Abstimmung mit der Verwaltung (und mit selbst eingeworbenen Drittmitteln) jährlich einen Teil der öffentlichen Förderung, nämlich 45.000 Euro für Zins und Tilgung. Das ist eine geradezu lächerliche Summe, gemessen an den Mietpreisen, die das Land Berlin inzwischen für das Kinder- und Jugendliteraturhaus zahlen müsste, zumal in dieser Lage. Bislang hatte niemand etwas dagegen einzuwenden. So zählt LesArt zu den wenigen eigenständigen Institutionen im Kulturbereich, denen es gelungen ist, in den letzten 20 Jahren in Mitte zu überleben, weil sie es unter vielen Anstrengungen schafften, ihre Immobilie selbst zu sichern: Mit Hilfe von Stiftungen, gutwilligen Eigentümern oder der Unterstützung des Lands Berlin. Dazu zählen Projekte wie das Haus Schwarzenberg, Acud, KuLe und andere.

Warum wollen die Großkoalitionäre nach dreizehn Jahren gerade diese Immobilie, die unter vielen Mühen vom Verein erworben wurde, plötzlich an das Land Berlin überschrieben sehen? Geht es um eine missliebige Institution, die für SPD und CDU eventuell „zu ostig“ sein könnte, wie der Linke-Abgeordnete Wolfgang Brauer meint? Oder geht es, wie er weiter vermutet, nur um die lukrative Immobilie in bester Lage, die dann durch den immer noch nicht reformierten Liegenschaftsfonds an Investoren verscherbelt werden soll – wie jenes Grundstück an der Ackerstraße, das der Fonds jüngst Jette Joop zum Verkehrswert zuschanzte?

Brauer findet den Vorstoß von SPD und CDU im Kulturausschuss so befremdlich wie empörend: So etwas habe er noch nicht erlebt. Ähnlich formuliert es die Abgeordnete Sabine Bangert von den Grünen: „Das gab es noch nie, es ist eine völlig unzulässige Vermischung von inhaltlicher Arbeit und Standortfinanzierung. Es gibt ja auch Förderungen für Mietzahler! Und niemand käme auf die Idee, beispielsweise eine Kita wegen der Raummiete unter Druck zu setzen, die letztlich auch privaten Vermietern zufließen kann. LesArt hat bislang hervorragende Arbeit geleistet, das wurde auch im Fachausschuss niemals bestritten. Es gibt kein anderes Projekt, das diesen Bedarf abdeckt. Der Verein hat jahrelang allein die Risiken getragen, der Grundstückserwerb war mit der Senatsverwaltung abgestimmt.“

Ein Jurist beurteilt den Sachverhalt nüchtern: Förderung sei eine politische Entscheidung und könne jederzeit vom Parlament revidiert werden. Die Folge, das erklärt wiederum die GLS-Bank, könnte jedoch bitter sein: Würde der Verein auf Druck des Kulturausschusses tatsächlich das Grundstück an das Land Berlin übertragen müssen, um weiter gefördert zu werden, könnte er seine Gemeinnützigkeit verlieren, weil alles Kapital und Vermögen des Vereins rechtlich gemeinnützig gebunden sind – dafür sorgt das Finanzamt. Mit der Gemeinnützigkeit verlöre der Verein wiederum seine Förderungsfähigkeit. So beißt sich die Katze in den Schwanz.

Inzwischen scheint, offenbar aufgeschreckt vom öffentlichen Aufruhr, den das Vorhaben verursacht hat, auch die Kulturverwaltung eine Einigung zu suchen. LesArt wurde ein neuer Gesprächstermin vor den nächsten Haushaltsgesprächen angeboten. Aber nicht die Senatsverwaltung entscheidet letztlich über den Haushalt, sondern das Abgeordnetenhaus. Deshalb findet die Grünen-Abgeordnete Sabine Bangert klare Worte: „Dieser unanständige Antrag muss sofort zurückgezogen werden!“