: Offen für den neuen Rausch
KONSUM Im Elfenbeinturm war es lange still. Jetzt bekommt die Universität einen neuen Klang: Das Knattern der Kassen, der Rhythmus der Werberufe schleicht sich ein. Eine Hörprobe
ARETI KARATHANASI, VERMARKTERIN AN HOCHSCHULEN
VON LAURENCE THIO UND MARTIN KAUL
Vielleicht lässt sich diese Geschichte nur leise erzählen. Es ist es keine Geschichte eines lauten Rumms. Es ist die Geschichte eines Hintergrundrauschens, dass sich aus vielen kleinen Lauten zusammensetzt. Dem Klick der Maus beim Onlineshopping. Dem Rascheln eines Werbezettels. Dem Klimpern von Münzen. Diese Geräusche sind schon lange fast überall. Aber jetzt sind sie auch dort, wo man sie über viele Jahrzehnte nicht haben wollte. In der Universität.
Man muss ganz genau hinhören. Da draußen, Unter den Linden, brummen die Dieselbusse vorbei. Und hier drinnen erklingt ein helles Pling, dem eine Preisanzeige folgt: 9,50 Euro kostet das rosa Schlabberlätzchen. Aufschrift: „Baby forscht“. 18 Euro kostet das Heinrich-Heine-T-Shirt. „So ein bisschen Bildung ziert den ganzen Menschen“ steht darauf. Hier, das ist ein Ladengeschäft in der Humboldt-Universität zu Berlin. Aber es könnte auch sonstwo sein in der Republik.
„Humboldt Store“ steht in großen, goldenen Lettern über der gläsernen Fassade dieses Uni-Shops. Noch vor kurzem gab es hier nur eine goldene Schrift. Einige Meter Luftlinie entfernt, im großen Foyer des imposanten Hauptgebäudes, steht unübersehbar: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Karl Marx. Dieses Foyer ist in Veränderung begriffen. Und auch die T-Shirts auf dem Campus und die Schlabberlätzchen der Republik sind in Veränderung begriffen.
Es ist eine schleichende Veränderung und eine, die meist leise ist. Auf Golfbällen und Bleistiften ist sie zu Hause. In Oxford kann man sie auf Plüschvögeln kaufen, an der University of New York auf einer Badeente. Und in Sydney gibt es sie auf Champagnerflöten. Es ist das Rauschen einer neuen Marke. Und diese Marke heißt: Universität.
In Leipzig ist die Tonart eine andere. Hier wummert der Bass. Vor der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, dröht Partymusik aus den Boxen. Alisas Tag soll mit einem lauten Beat beginnen, mit „Sexergy“, mit „Kirsche, Koffein, Guarana und jeder Menge Sex-Appeal“. So will es die Werbeabteilung eines Getränkeherstellers. Aber die Politikstudentin will nicht. Sie will einfach in ihr Seminar.
Deutschlands Studierende sind attraktiv. „Sie haben alles, was eine hochkarätige Zielgrupe ausmacht: Einfluss, Geld und Spaß am Konsum.“ Das sagt Areti Karathanasi. „Marken, die sich bei Studierenden durchsetzen, haben Signalwirkung auf andere Kundensegmente.“
Karathanasi arbeitet in der Geschäftsführung eines Unternehmens, das deutsche Hochschulen mit Werbung versorgt. Ob mit Plakaten, Promotion oder Party, an 383 deutschen Unis bestellt sie das Knistern und Wummern für Vodafone und Grafschafter Zuckerrübensirup.
Über 2 Millionen Studierende, 503.876 Hochschullehrer und 45.760 Professoren können es hören, wirbt das Unternehmen: „Eine Rechnung, die aufgeht.“ Das ist der Beat der Kommerzialisierung eines öffentlichen Raums. Es ist ein Kaufrauschen, das seit Mitte der Neunzigerjahre nach und nach an Kraft gewinnt. Bis 1996 war es noch verboten, überhaupt mit Werbung an Hochschulen Geld zu verdienen. Heute floriert das Geschäft an den Universitäten. Und diese haben begriffen: Wenn Grafschafter Zuckerrübensirup ihre Räume erobern kann – wieso sollten es die Hochschulen nicht auch selbst versuchen?
„Eine Marke funktioniert dann, wenn man sich emotional an sie binden kann“, sagt Andreas Freitag. Er ist einer der Geschäftsführer der Werbeagentur Jung von Matt. „Die Universität als Marke hat ja durchaus auch eine Funktion. Sie stärkt die Gruppe im Zusammenhang nach innen und fördert die Identifikation. Das kann gut sein, muss es aber nicht.“
Anstecknadeln, Kaffeetassen, Laserpointer, Korkenzieher, Regenschirme sind die Antwort darauf. Was in den Vereinigten Staaten schon seit Jahren in die Normalität des Hochschulraums gehört, erkämpft sich in Deutschland jetzt gerade erst seine neuen Nischen. In der Traditionsstadt Bamberg ist die Hochschulmode des Uni-Shops bieder, an der Elite-Uni RWTH Aachen sportlich – und die vorherrschende Stilrichtung der Klamotten, die das hochschuleigene Geschäft der Universität Siegen vertreibt: „Vintage used Style“.
Einst war die Universität ein Elfenbeinturm, dann ein Revolutionsobjekt. Heute dringt sie in einen neuen Raum vor: Sie verkauft sich als Marke, sie macht sich ein bisschen verkaufbar.
An der Berliner Humboldt-Universität stehen nicht nur Lätzchen und T-Shirts zum Verkauf. „Kauf dir deinen Platz im 201“ heißt es auf dem Flyer der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Humboldt-Universität. Und 201, das ist der Raum mit den roten Sesseln, in dem die Vorlesungen hier gehalten werden. Studierende dürfen dort auch sitzen, ohne zu bezahlen. Aber wer spendet, gehört schon ein bisschen mehr dazu. „Werden Sie damit zum Förderer, Freund und Mitglied einer der Top-Universitäten des Landes“, wirbt die Initiative „Platzstiften“. Derzeit sammelt sie Geld für ein Projekt, das der Staat nicht mehr hinreichend finanziert: Die Sanierung des Hörsaals, die Qualität der Lehre. Vom wirtschaftsnahen Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft wurden die Platzstifter im Februar dafür zur „Hochschulperle des Monats“ ernannt. Auf dem Campus und auf Facebook sind die Platzstifter präsent. Und das leise Knistern des Flyerpapiers soll bald unüberhörbar werden.
Es ist ein Hintergrundrauschen, es ist keine laute Revolution. Erst Schlabberlätzchen, dann Krawatten. Erst macht es weiter kling, kling, kling. Später dann auch bumm, bumm, bumm.