: Launen-Journalismus
Jetzt lobt sogar die englische Presse Deutschland. Warum ausgerechnet die hiesigen Leitmedien darauf so stolz sind
Da ist er schon wieder, Deutschlands Stern, und neuerdings steigt er. Die Nationalbewusstseins-Trendschnüffler unter anderem bei Spiegel Online vermelden froh und stolz: Ein britisches Medium bescheinigt den Deutschen, optimistisch und zukunftstauglich und reformbereit zu sein. In diesem Falle ist es der sonst seinerseits so übellaunige Deutschlandkorrespondent der Times, Roger Boyes, der uns zu Ostern an prominenter Stelle seiner Zeitung mit der Nachricht streichelte: „Whisper it softly … Germany is coming back“.
Rings um die Fußballweltmeisterschaftsindustrie sowie die Kanzlerschaft Angela Merkels siedelt Boyes die These an, dass „die Deutschen ihren traditionellen Pessimismus sein lassen und euphorisch werden“, was ihr Land angeht. Beweise: Die 38-jährige Reisebürokauffrau Beate Lindner erklärt, wir seien nicht mehr die Allerletzten, und es fühle sich gut an. Hinzu kommen ein deutscher Papst sowie die Aufstellung der Fußballnationalmannschaft, die „jugendliche Innovation“ verheiße.
Nun sind Auslandskorrespondenten auch gar nicht unbedingt dazu da, sich mit den innen- und wirtschaftspolitischen Vorgängen des Landes zu befassen, in dem zu leben sie sich entschlossen haben beziehungsweise verurteilt fühlen. Sie haben ein Recht darauf, über Launen zu schreiben, und seien es im Wesentlichen ihre eigenen.
Was aber befördert eigentlich diese kindische Freude deutscher Leitmedien, wenn sie entdecken, dass ihre eigenen kleinen Stimmungstricks von der Auslandspresse ernst genommen und prompt wiedergegeben werden? Schließlich weiß man bei Spiegel Online wie anderswo, dass die Wirtschaftsdaten schon unter Schröder gut waren, die Arbeitslosigkeit dagegen auch unter Merkel schlecht ist. Und der Rest fällt derzeit unter großkoalitionäre Psychologie.
An dieser freilich mitzuwirken haben viele allein schon deshalb beschlossen, weil sie Merkel schließlich herbeigeschrieben haben. Sollte allerdings das Arbeitgeberlager seine Erwartungen an die Gesundheitsreform nicht vollständig erfüllt bekommen, werden garantiert dort die Atmo-Windmühlen wieder angeworfen. Ganz sicher händigt uns dann auch die britische Presse bald wieder den Wanderpokal „Sick Man of Europe“ aus. UWI