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Archiv-Artikel

Eine tödliche Liebe in Kurdistan

In der Kleinstadt Kalak wurde ein junges Paar ermordet. Außereheliche Liebesbeziehungen gelten als Ehrdelikt. Kurdische Politiker haben sich die Frauenrechte auf ihre Fahnen geschrieben. Doch in Kalak denken viele: Der Mörder hatte Recht

AUS KALAK INGA ROGG

Kein Stein. Keine Inschrift. Kein Bild. Nichts erinnert in Kalak an das Schicksal von Nahlan Hassan Mohammed und Arselan Ismail Selim. Am 17. November wurden die beiden Jugendlichen, sie 15 und er 18 Jahre alt, von einem Onkel von Nahlan erschossen. Auf Nahlan schoss der Täter dabei so oft, dass ihr Gesicht völlig zerfetzt war. Als Nahlan starb, war sie im fünften Monat schwanger – von Arselan. „Hätte er sie bloß geheiratet“, sagt der örtliche Polizeichef Azwar Dizaei. „Dann hätte er der Familie die Schande erspart.“

Doch Arselan blieb stur. Wie Hohn und Spott muss es für Nahlan geklungen haben, dass er ihr dabei auch noch vorwarf, sie sei keine Jungfrau mehr. In der kleinen Welt von Kalak im kurdischen Nordirak, wo jeder jeden kennt, war Nahlan fortan eine Aussätzige. Sie hatte freilich nicht nur ihren Ruf, sondern auch den ihrer Familie und des Stammes ruiniert. Deshalb musste sie sterben.

Obwohl der Mord an den Jugendlichen fast einer Hinrichtung glich, würde Ahmed Mohammed Arab den Täter nie einen Mörder nennen. „Er war im Recht“, sagt Arab. „Hier ging es um die Ehre, das ist kein Kavaliersdelikt.“ Wie der Todesschütze ist auch der 51-jährige ehemalige Kämpfer ein Onkel von Nahlan. Die Häuser der beiden Familien sind nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Obwohl Arab selbst Vater von vier Töchtern ist, hat er für seine Nichte wenig Mitgefühl. „Sie war ein dummes Ding“, sagt seine Frau. Viel mehr wird sie an diesem Tag nicht sagen. Die meiste Zeit sitzen sie, Arabs Zweitfrau, und ihre Töchter schweigend da. Dass Frauen in Gegenwart des Familienoberhauptes reden, schickt sich in Kalak nicht.

Wie der frühere Peshmerga nimmt in dem Ort kaum einer Anstoß an dem Doppelmord. Dabei kam es anschließend zu einer Schießerei zwischen den Familien, bei der mehrere Personen verletzt wurden. Die Polizei brachte die Lage erst unter Kontrolle, als sie mit amerikanischen Luftangriffen drohte.

Das Schicksal von Nahlan ist kein Einzelfall. Oft reicht schon ein falscher Blick oder ein verdächtiges Telefonat, um die Mörder auf den Plan zu rufen. Seit Jahren machen sich kurdische Aktivistinnen gegen die so genannten Ehrenmorde stark. Dabei konnten sie erste Erfolge erzielen: Das ehemalige Saddam-Recht, das Tätern bei so genannten Ehrenmorden weitgehende Straffreiheit gewährte, wurde reformiert. In Suleimaniya und Erbil entstanden die ersten Frauenhäuser im Irak, die sich nicht zuletzt dank der Unterstützung von ausländischen Hilfsorganisationen bis heute halten können.

Die Zahl der Ehrenmorde in Kurdistan sank von mehreren hundert in den 90er-Jahren auf einige Dutzend in den vergangenen Jahren. Immer wieder entdecken Sozialarbeiterinnen aber auch Frauen, die von ihren Familien in Ketten gelegt wurden und halb verhungert sind. Weiterhin verbrennen sich auch viele Frauen in ihrer Verzweiflung selbst.

„Wir stehen erst ganz am Anfang“, sagt Chilura Hardi. Vor fünf Jahren ist Hardi aus England, wo sie 13 Jahre als Sekundarlehrerin arbeitete, nach Kurdistan zurück gekehrt. In Erbil leitet sie heute das Frauenzentrum „Khatuzin“. Mit einer fahrenden Bibliothek, einer eigenen Zeitschrift und neuerdings einem eigenen Radiosender will „Khatuzin“ die Gleichberechtigung in Kurdistan vorantreiben.

Dabei ist Hardi keine, die dem Patriarchat die Krallen zeigt. Sie setze auf den langsamen Umbau von unten, sagt die 49-Jährige. Deshalb lägen ihr die Diskussionsrunden mit Schülern, mit denen sie kürzlich begonnen hat, auch besonders am Herzen. Allerdings fordert sie dabei mehr Einsatz von der kurdischen Regierung und den beiden mächtigen Parteien. Obwohl Kurdistan für Frauen im heutigen Irak, wo die Fundamentalisten den Ton angeben, geradezu als Oase der Liberalität erscheint, müsse mehr für die Verankerung von Frauenrechten getan werden, sagt Hardi. Ihr schwebt dabei die Aufnahme eines Frauen-Grundrechte-Katalogs in die künftige Landesverfassung vor. „Soweit wird es wohl nicht kommen“, sagt sie mit einem Schmunzeln. „Aber große Dinge brauchen manchmal viele kleine Schritte.“

In Kalak, keine 20 Kilometer westlich von Erbil, klingen Hardis Reden beinahe wie aus einer fremden Welt. Deshalb bleibt der Mord an den beiden Jugendlichen trotz der kurdischen Strafrechtsreform voraussichtlich ungesühnt. Gemäß einem Beschluss der Stammesältesten bekamen die Familien von Arselan, Nahlan und ihrem Onkel eine Frist für die gütliche Beilegung des Konflikts gesetzt. Neben Geldzahlungen kann dies für Mädchen aus der Familie des Mörders bedeuten, dass sie wie Sklavinnen mit einem Mann aus dem Clan seiner Gegner verheiratet werden. Ahmed Mohammed Arab kann daran nichts Verwerfliches finden. Verschämt blicken seine halbwüchsigen Töchter zu Boden. Keine wagt dem Vater zu widersprechen.