: Das Kopftuch kehrt zurück
SYMBOLIK Trennung von Staat und Religion weiter aufgeweicht. Kleine Zugeständnisse für türkische Christen und Aleviten
DIYARBAKIR taz | Neben der Kurdenfrage ging es in Recep Tayyip Erdogans sogenanntem Demokratiepaket, das der Ministerpräsident am Montag feierlich verkündete, auch um mehr Religionsfreiheit für Muslime und Christen. Die eigentliche Überraschung: Erdogan kündigte an, das Kopftuchverbot für Angestellte und Beamtinnen im öffentlichen Dienst demnächst aufzuheben.
Damit wird das wichtigste sichtbare Zeichen für die Trennung von Staat und Religion in der Türkei fallen. Die regierende AKP hat sich damit selbst, so viel ist offenkundig, einen Herzenswunsch erfüllt.
Seit knapp 90 Jahren galt in der Türkei das Verbot des Schleiers. Die Kleiderreform wurde nach Gründung der Republik 1923 durchgeführt. Dahinter steckte der Wunsch, den Bruch mit dem zuvor religiös legitimierten Osmanischen Reich zu demonstrieren. Die moderne Türkei sollte sich vom Orient weg nach Europa ausrichten.
Obwohl das Verbot des Kopftuchs in den zehn zurückliegenden Jahren der Erdogan-Regierung schon vielfach aufgeweicht wurde, ist die jetzt angekündigte Reform von hoher symbolischer Bedeutung.
Mit Ausnahme von Staatsanwältinnen, Richterinnen und weiblichen Mitgliedern der Streitkräfte dürfen zukünftig alle Angestellten und Beamtinnen im Dienst Kopftuch tragen.
Diese neue Vorschrift wird in der Türkei als Zeichen für die gewollte Re-Islamisierung verstanden. Zudem soll das Strafrecht so geändert werden, dass künftig auf die Behinderung der Ausübung der Glaubensfreiheit eine dreijährige Gefängnisstrafe steht.
Um nicht allein seine eigene Klientel zu bedienen, kündigte Erdogan auch für die religiösen Minderheiten des Landes einige Schritte an, die allerdings weit hinter den Erwartungen zurückblieben. Den Christen bot er an, einen seit langem schwelenden Streit um die Liegenschaften des wichtigsten Klosters der syrianisch-orthodoxen Minderheit Mor Gabriel zu schlichten. Zu diesem Kloster gehören seit Jahrhunderten größere Ländereien, die der syrianisch-orthodoxen Minderheit in den letzten Jahren streitig gemacht worden waren.
Erdogan kündigte jetzt an, man werde die Ländereien rückerstatten, wie dies auch an anderen Orten mit Liegenschaften der griechischen oder armenischen Gemeinden bereits geschehen sei.
Enttäuscht wurden jedoch die Anhänger der griechischen Kirche in der Türkei. Sie hatten erwartet, dass Erdogan auch die die Wiederzulassung des griechisch-orthodoxen Priesterseminars auf der Prinzeninsel Heybeli zusagen würde. Dies ist der einzige Ort, wo die griechische Kirche ihren Nachwuchs ausbilden kann. Davon war jetzt aber nicht die Rede.
Auch für die alevitische Minderheit fielen nur spärliche Zugeständnisse ab. Statt, wie seit Langem gefordert, die alevitischen Gemeindehäuser den Moscheen gleichzustellen oder sie wenigstens als religiöse Stätten anzuerkennen, kündigte Erdogan lediglich an, man werde eine Universität in Nevsehir nach dem wichtigsten alevitischen Heiligen Hadschi Bektasch benennen. JÜRGEN GOTTSCHLICH