das marmeladenunfallgesetz von JOACHIM SCHULZ
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„Neiiiin!“, rufe ich, um meinen Schutzengel aufzufordern, das drohende Unheil noch abzuwenden. Mit so einem Bagatellmalheur jedoch scheint man einem auf lebensgefährliche Bedrohungen spezialisierten himmlischen Retter nicht kommen zu dürfen, und so rührt er keinen Finger, während das Marmeladenbrot, das mir soeben aus den Fingern geglitten ist, einen einfachen Überschlag macht und „batsch!“ auf meiner frisch gewaschenen Hose landet.

„Verdammt!“, fluche ich und betrachte das klebrige Desaster auf meinem Oberschenkel. „Kann man nix machen“, sagt Theo, bei dem ich zu Gast bin: „Murphy’s Law.“ Das aber tröstet mich nur wenig – besser gesagt: Es tröstet mich überhaupt nicht. Noch nie habe ich den Hinweis auf das Gesetz des Herrn Murphy leiden können, wonach alles, was schief gehen kann, auch schief gehen wird; im Falle meines Marmeladenbrots aber missfällt er mir besonders.

„Murphy’s Law!“, sage ich verächtlich: „Totaler Blödsinn! Das Brot hätte ebenso gut mit der Marmeladenseite nach oben landen können. Die Chancen standen fifty-fifty!“ – „Standen sie nicht!“, erwidert Theo: „Wenn das Brot erst mal fällt, muss es zwangsläufig auf die Marmeladenseite klatschen und dir die Buxe vollschmoddern!“ – „Grundgütiger!“, schnaufe ich: „Dass ausgerechnet du an so einen fatalistischen Unfug glaubst! Pass auf, ich werde dir beweisen, dass du Unrecht hast!“

Zu diesem Zweck löse ich die Brotscheibe von meiner Hose, bestreiche sie erneut mit Marmelade und zerschneide sie in vier Viertel. „Was machst du?“, fragt Theo. „Wart’s ab!“, sage ich und schiebe die vier Minibrote zur Tischkante. Dann lasse ich sie zu Boden stürzen, und siehe da: Genau, wie die Wahrscheinlichkeitsrechnung es will, landen zwei auf der Marmeladenseite und zwei nicht.

„Na, bitte!“, strahle ich: „Bist du jetzt überzeugt?“ Theo blickt mich staunend an. „Das soll dein Beweis sein?“, sagt er: „Ich lach mich kaputt!“ – „Worüber denn, zum Kuckuck!?“, sage ich: „Fifty-fifty, wie ich vorausgesagt habe!“ „Aber du kannst doch Murphy’s Law nicht unter Laborbedingungen untersuchen! Worin besteht denn das Unheil, wenn deine Testbrote auf der Marmeladenseite landen? Und wo, bitte schön, ist die frisch gewaschene Hose?“ – „Es spielt doch überhaupt keine Rolle, ob ich die Brote auf den Fußboden oder auf eine Hose fallen lasse!“ – „Wie bitte? Du willst mir erzählen, es ist dir egal, ob das Marmeladenbrot, das dir aus der Hand rutscht, auf deiner Hose oder auf dem Boden landet?!“ – „Natürlich nicht! Aber darum geht es doch gar nicht!“ – „Hä? Ich dachte, genau darum geht es?!“ – „Tut es ja auch! Aber bei diesem Experiment …“ „Also ehrlich, jetzt verwirrst du mich.“ – „Und du machst mich wahnsinnig!“, rufe ich und will beschwörend die Hände heben.

Als ich die Arme hochreiße, bleibe ich an dem Teelöffel hängen, der im Marmeladenglas steckt, und so kommt es, dass der Löffel aus dem Glas herauskatapultiert wird, mein eben noch blütenweißes Hemd plötzlich durch ein Tupfenmuster verziert ist und ich mich dazu entschließe, unserer Debatte über die Wahrscheinlichkeit von alltäglichen Unglücksfällen durch meine bedingungslose Kapitulation ein sofortiges Ende zu machen.