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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Roulettetisch Afrika

■ betr.: „Sie bringen immer mehr Tote“, taz vom 4. 10. 13

Afrika ist der größte Roulettetisch der Welt. Er besteht aus 65 Feldern und um ihn herum haben sich die gierigsten und skrupellosesten Menschen der Welt versammelt. Die Spieler an diesem Tisch sind Europäer, Chinesen, Amerikaner, Inder, selbst Nordkoreaner sind hier aktiv, um sich an den unermesslichen Schätzen dieses Kontinents zu bereichern, ganz ungehindert und ohne Skrupel. Aluminium aus Kamerun, Diamanten aus Angola, Kupfer und Nickel aus Botswana, Öl aus Nigeria, Gold aus Burkina Faso, Magnesium aus Gabun, Erdgas aus Äquatorialguinea, Bauxit aus Ghana, Eisenerz aus Liberia, Gold aus Mali. Kupfer, Nickel, Zinn, Holz, seltene Erden, Lithium, Kobalt, Silber, Platin. Der Hunger der modernen Welt wird hier gestillt.

Das Spiel geht ganz einfach. Man setzt auf eines der Felder, dreht das Rad, und wenn man mit den richtigen Leuten zusammengearbeitet hat, vervielfältigt sich der Einsatz. Ein besonders tragisches Beispiel ist der Kongo. Das Land in Zentralafrika ist das größte Rohstoffreservoir des Kontinents. Hier gibt es alle oben erwähnten Rohstoffe und mehr. Coltan und Kassiterit gibt es nur hier, außerdem Uran. Das Uran der Atombombe von Hiroshima stammte aus dem Kongo, heute ein Land im Elend. Der ungeheure Reichtum an Bodenschätzen ist der Grund dafür, warum dieses Land im Elend versinkt. Im Kongo gibt es keine staatliche Gewalt. Das ganze Land ist in der Hand von Warlords, die ihre Geschäfte direkt mit den Spielern an diesem Tisch machen. Das ist der Grund, warum trotz des enormen Reichtums im Lande 99 Prozent der Bevölkerung im Elend leben und sich von einem Tag in den nächsten kämpfen, ohne Perspektive, ohne Rechte, unter ständiger Bedrohung von Leib und Leben.

Das Fehlen staatlicher Gewalt ist dabei nicht auf die Unfähigkeit der Bevölkerung zurückzuführen. Patrice Lumumba ist 1960 in demokratischen Wahlen zum Ministerpräsidenten gewählt und anschließend von belgischen Söldnern erschlagen worden. Vielmehr ist die Destabilisierung des afrikanischen Kontinents gewollte Wirtschaftspolitik des Westens und zunehmend auch der Schwellenländer.

Wir schreiben das Jahr 2013, und in Mauretanien gibt es einen Sklavenmarkt. Menschenhandel ist in einem Dutzend afrikanischer Staaten an der Tagesordnung. Hier zählt ein Menschenleben gar nichts. Das ist von den Spielern an diesem Tisch so gewollt. Der gesamte Kontinent wird bewusst in einem Zustand der Instabilität gehalten, um ihn besser plündern zu können. Die einzige Regel an diesem Tisch lautet, dass es keine gibt. Das ist die moderne Form des Kolonialismus. Kolonialismus 2.0.

Das, was heute hier geschieht, ist um ein Vielfaches schlimmer als das, was während der Kolonialzeit passiert ist. Im Kongo sind in den vergangenen fünfzehn Jahren mehr als acht Millionen Menschen ums Leben gekommen, weil es die Spieler an diesem Tisch so wollten. Und niemanden interessiert das. Stattdessen beklagt man das Aussterben der Berggorillas.

Das Erdöl Nigerias ist für die Bevölkerung ein Fluch, weil es ganze Landstriche unbewohnbar gemacht hat. Die Profite fließen in die Taschen internationaler Konzerne. Mali produzierte einst die beste Baumwolle der Welt. Heute kann es seine Bauern nicht mehr ernähren, weil diese mit den subventionierten Baumwollpreisen der EU nicht konkurrieren können. Die korrupten Beamten in den afrikanischen Ländern sind nur die Croupiers in diesem Spiel. Verantwortlich ist der globalisierte Markt, auf dem genau die Staaten ihre Stände betreiben, die Betroffenheit heucheln, wenn die Leichen der Flüchtlinge ihrer Wirtschaftspolitik auf unsere Badestrände gespült werden. WOLFGANG RÜHL, Wiehl

Keine leuchtenden Buttons im Text

■ betr.: „Wer gut sein will, muss lesen“, taz vom 5. 10. 13

Ich habe meinem Sohn vorgelesen, quasi von dem Tag an, als er hören konnte. Wir haben im Bett, im Zug, im Wartezimmer sogar im Restaurant, wenn’s lange dauerte, gelesen. Vorgelesen habe ich alles, was „pädagogisch“ wertvoll ist: von Astrid Lindgren bis Tonke Dragd. Beim ersten Pisa-Test durfte ich im Fragebogen ankreuzen, dass ich vorlese. Darauf war ich ganz stolz: Ich mache alles richtig.

Wer immer noch nicht gerne liest, das ist mein Sohn. Sein Studium läuft ihm zu zäh und ihm ist aufgefallen, dass es gar keine selbsterklärenden Bilder im Text gibt und keine Buttons aufleuchten, die eine Zusammenfassung erklingen lassen. Für ihn ist Lesen leider zu einem notwendigen Muss geworden, während ich als Kind zur Leseratte wurde, um vor meiner Familie zu flüchten. Inhaltlich gute, ehrliche und altersgemäße Gespräche sind wahrscheinlich für die intelligente Entwicklung wertvoller. Also, Eltern, lest, damit ihr was erzählen könnt, wenn ihr gefragt werdet. KATJA HÖRTER, Remscheid

Bierselige deutsche Einheit

■ betr.: „Kein Fest für Autonome“, taz vom 4. 10. 13

Habe ich den Bericht richtig verstanden, dass Polizisten jetzt Hausbesuche bei Bürgern machen, die ein Grundrecht, in diesem Fall das Demonstrationsrecht, wahrnehmen wollen? Das Wort „Gefährderansprache“ war mir bis dato nur aus einem Zusammenhang mit Fußballrowdys bekannt. Was genau würde im Falle einer Demonstration gegen den Tag der Deutschen Einheit denn „gefährdet“? Die bierselige Überschwänglichkeit in den Abendstunden? Die besinnlich-feierlichen Gesichter von Merkel und Gauck? Wohl doch eher die Idee, dass der Verlauf der deutschen Einigung alles andere als die Geschichte einer Vereinigung zweier Staaten ist, als vielmehr die einer feindlichen Übernahme durch den Mächtigeren. Daran im Rahmen einer Demonstration zu erinnern, erscheint mir durchaus sinnvoll und im Gegensatz zu den Hausbesuchen der Polizei auch absolut legitim. STEFAN DIETE, Gelsenkirchen