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Archiv-Artikel

„Sich als Bittsteller fühlen“

COLLOQUIUM Eine Soziologin erklärt, wie Aufstocker-Familien vom Hartz-IV-Bezug wegkommen

Von JPB
Anne Schröter

■ 28, hat an der Uni Bremen empirische Sozialforschung studiert und promoviert am Institut Arbeit und Wirtschaft.

taz: Frau Schröter, viele Familien beziehen aufstockend Hartz IV. Wo liegt das Problem?

Anne Schröter: Einerseits geht es um den Wert der eigenen Arbeit, wenn man trotz Erwerbstätigkeit nicht die Existenz der Familie sichern kann. Das ist besonders für die Väter ein Problem. Andererseits ist es eine sozialpolitische Frage, dass Transferleistungen bezahlt werden müssen.

Dass also der Staat über aufstockendes Arbeitslosengeld indirekt den Niedriglohnsektor finanziert?

So kann man es sicherlich bewerten. Ich forsche aber eher auf der individuellen Ebene. Da kann man klar sagen, dass die Leute sich als Bittsteller fühlen, wenn sie zum Jobcenter müssen, dort Termine einhalten müssen und in eine Schublade gesteckt werden. Und das teilweise, obwohl sie bereits in Vollzeit arbeiten.

...was auf einen kläglichen Stundenlohn schließen lässt. Ist ein Mindestlohn die Lösung?

Die Lohnfrage steht für mich nicht im Vordergrund. Es kann ebenso sein, dass der Bedarf sehr hoch ist, weil die Familie vier Kinder hat und auch die Mietkosten entsprechend steigen. Auch darf man die vielen Alleinerziehenden nicht vergessen, für die Familie und Beruf schwerer zu vereinbaren ist. Besonders wichtig finde ich daher die Unterstützung der Mütter.

Sie sprechen von „Ausstiegsstrategien“ für die Familien. Hängt es allein vom richtigen Willen ab?

Nein. Es geht klar auch um die Rahmenbedingungen. Auffällig ist aber, dass es nicht immer um institutionelle Faktoren geht, etwa um den Betreuungsanspruch für Kinder. Vollzeit zu arbeiten deckt sich eben manchmal auch nicht mit den Werten einer Familie und den Vorstellungen von Erziehung. Oft wird auch vergessen, dass man für einen beruflichen Aufstieg flexibel sein muss. Ein neuer Job kann einen Umzug bedeuten, eine neue Probezeit und damit Unsicherheit. Das hat nichts mit Willen zu tun, sondern damit, wie viel Risiko ich eingehen kann – ohne Kinder kann ich mir mehr erlauben.  INTERVIEW: JPB

16 Uhr, Haus Seekamp, Universitätsallee 21/23