: Die Szenen verschmelzen
SHOW CASE FESTIVAL Die Veranstaltungen der „Waves Vienna“ sind, obwohl kaum plakatiert wird, gut besucht. Und der Wienpop nimmt noch immer auch die alten Leute mit
VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE
Eigentlich sind Showcase-Festivals das Speeddating unter den Konzerten. Labelleute, Konzertbooker, Musiker und Journalisten werden in eine Stadt gefahren, die Aufmerksamkeit ist kurz, das Angebot unüberschaubar, die Auftrittszeit knapp – kurzum: Alles ist mehr Fleischmarkt als Musikfestival. Anders ist es auf dem Wiener „Waves Festival“, das zwar auch ein Showcase-Event ist, aber man mag’s halt entspannter in Wien. Deshalb sind die Debatten ruhig und gesittet, der Existenzkampf ist auf andere Podien vertagt.
Auch Franz Wenzl hat die Ruhe weg. Am Samstag, dem letzten Tag des „Waves Vienna“-Festivals, sitzt der makellos angezogene Sänger der Band Kreisky im Wiener Club Flex und plaudert: „Der Verkaufsschlager ist, dem Ausland das zu geben, was es von Österreich erwartet: ‚Rock Me Amadeus‘, Kaffeehaus, das Granteln“. Wie ernst er das meint? Man weiß es nicht. In „Österreichisch“ bekommen Kreisky regelmäßig Bestnoten. Lange waren sie die grantlerische Antithese zum deutschsprachigen Nabelschaupop. Über spröde-präzise Postpunk-Gitarren speit Wenzl in feinstem Schmäh die ganze Wut von Alltagsfrustrationen. Auf dem „Waves“ stellen sie ihre neue EP „Selbe Stadt, neuer Planet“ vor, die das ziellose Granteln um das kleinteilige Sezieren von Lebensgewohnheiten ergänzt. Geblieben ist Kreisky aber der Sinn für überzeichnete Theatralik, die große Geste der Rockekstase, die mit dem nötigen Ernst, aber dennoch vollkommen uneigentlich vorgetragen wird.
„Es gibt in Wien eine Art stilistisches Kopistentum“, erzählt Gerhard Stöger, Musikredakteur bei der Wochenzeitung Falter. „Das meine ich nicht negativ, das kommt vom Punk.“ Er hat vor wenigen Wochen das Buch „Wienpop“ herausgebracht, eine Collage aus 130 Interviews. Sie erzählt, wie die Popmusik in den späten 1950ern das postnazistische Wien heimsuchte und seitdem reichlich Biografien durcheinanderwirbelt. Was ist aber das Besondere an der Wiener Popgeschichte? „Es ist das für Wien Charakteristische, dass man immer, wenn es etwas völlig Neues gab, man die alten Leute trotzdem mitgenommen hat“, meint Stöger. Falco, zum Beispiel, habe in den 1970ern als langhaariger Bassist Hans Hölzel bei der Rockband Drahdiwaberl gespielt, deren Aufnahmen auf dem ersten Punksampler debütierten.
„Wienpop“ ist voll mit solchen Anekdoten, in denen sich die Popgeschichte der österreichischen Hauptstadt verdichtet. Aber es endet auf einem leichten Tiefpunkt – den eher trägen Jahren nach dem großen Hype um den „Sound of Vienna“, als in den 1990ern Produzenten wie Kruder & Dorfmeister, Patrick Pulsinger und Christian Fennesz Wien auf der Landkarte elektronischer Musik verankert haben. Es war das letzte Mal, dass man Pop aus Wien unter einem Label fassen konnte – obwohl sich mit Producern wie dem Synth-Pop-Quartett Ghost Capsules oder dem Live-Elektronikprojekt Electro Guzzi schon einige Anwärter auf die Nachfolge bereithalten.
„Die Szenen verschmelzen“, meint Bernhard Kern, Labelmacher von Siluh Records. Am Freitagabend hatte sein Label ins Fluc geladen. Angekündigt war das Yuri Landman Ensemble, auf der Bühne standen ein gutes Dutzend Wiener Musiker zwischen Elektronik und Noiserock, die auf selbst gebauten Gitarren eine Ensembleleistung als Lärmwall präsentierten. Für Siluh sind solche Projekte normal. „Wir sind ein Indielabel, aber nicht nur für Indiebuben“, beschreibt Kern sein Label. Heute veröffentlicht dort Wandl, ein junger Wiener, der seine Old-Scool HipHop-Beats mit Gesang und Reverb verhuscht, ebenso selbstverständlich wie die Neo-Garage-Band Mozes and the Firstborn, die am Freitag als letzter Act bei ihrem Debüt erst nach zwei Zugaben und reichlich schmachtenden Blicken aus dem eng gefüllten Fluc entlassen werden. Denn obwohl kaum plakatiert wird, sind die Veranstaltungen von „Waves Vienna“ gut besucht und die Wiener Acts bekannt.
„Auf welchem Floor spielt der Cid Rim?“, fragt ein Gast am Freitag an der Kasse der Pratersauna beim Labelabend von Affine Records. Die Antwort: da, wo die Party tobt. Dort fliegen die Finger von Clemens Bachem (Cid Rim) über den Midi-Controller seines Laptops und spielen Übersteiger mit seinen gebrochenen Beats, als wären sie eine Jazz-Improvisation. „Mit 14 habe ich angefangen, Schlagzeug zu spielen, erst auf einem selbst gebauten Drumkit aus Büchern und Aschenbechern, später habe ich Jazzschlagzeug studiert“, erzählt Bachem. Parallel dazu hat er eine Sequencer-Software gelernt und ist dieser Kombination bis heute treu geblieben. In der Pratersauna geht der Dancefloor bei jeder Schlagzeug-Improvisation von Cid Rims Liveset mit, quittiert Breaks mit Schreien und Pfiffen und verfängt sich nicht in den Haken der verästelten Beatkonstrukte. Da hat sich jemand sein Publikum herangezogen.
Unterstützt werden sie durch Airplay, besonders auf FM4, dem Jugendsender des ORF. „Es kann schon mal sein, dass wir Musik direkt aus dem Proberaum im Radio spielen“, erzählt Stephan Trischler, der die Sendung „Soundpark“ moderiert. Jede Woche werden dort Musiker aus Österreich vorgestellt. Aber trotzdem – wie wichtig ist denn ein Radiosender heute, wo alle ständig Zugriff auf aktuelle Musik haben? „Es hat ja nicht jeder Zeit, jeden Tag Hunderte von Internet-Feeds zu hören“, meint Trischler optimistisch. Dabei hat FM4 im ORF keinen leichten Stand, Anfang dieses Jahres machten Gerüchte von einer Schließung die Runde. „Früher hat der ORF für Austropop viel getan“, meint Bernhard Kern von Siluh Records, heute kümmere er sich nicht mehr um aktuelle Musik. Stattdessen herrsche immer noch postimperiale Melancholie in der Stadt und ihren Institutionen. „Am Hamburger Flughafen ist ein Statement von Fettes Brot an der Wand“, erzählt Bernhard Kern. „In Wien steht dort etwas von Johann Strauß – aber eigentlich müssten es Kruder & Dorfmeister sein.“