: Unbewusst formiert sich die Gegenkultur
DDR-DOKU Eine Defa-Doku von 1988 versucht Union-Berlin-Fans als brave DDR-Bürger darzustellen – doch der Wandel lässt sich bereits erahnen. Zu sehen in der Brotfabrik
VON LARS PENNING
„Haut se, haut se, immer wieder auf die Schnauze.“ Die Fans des Köpenicker Traditionsclubs 1. FC Union Berlin skandieren, was Fußballfans eben singen. Subtilität hat in Schlachtgesängen wenig verloren, gern verdrischt man den sportlichen Gegner und seine Anhänger dort zumindest verbal. Die Aufnahmen in Ernst Cantzlers Dokumentation „… und freitags in die ‚Grüne Hölle‘“ stammen von 1987/88, als es die DDR noch gab. Und so bekommen die Bilder und Gesänge auch noch andere Bedeutungen – insbesondere, wenn die Filmemacher direkt im Gegenschnitt die uniformierten Genossen von der Volkspolizei zeigen, die das Geschehen beobachten.
Selbst aus heutiger Sicht verblüfft die 1989 fertiggestellte Defa-Dokumentation mit der Direktheit, in der Fußballkrawalle und gesellschaftliche Unzufriedenheit in Zusammenhang gesetzt werden: Die Spiele sind für die Fans ein Ventil in ihrem reglementiert-sozialistischen Alltag, unbewusst formiert sich hier eine sich allen offiziellen Organisationen entziehende Gegenkultur, in die aus dem Westen importierte Subkulturen – vom Skinhead bis zum langhaarigen Metal-Freak – ebenfalls bereits Einzug gehalten haben. Zugleich hat dieser in aller Öffentlichkeit stattfindende Rückzug ins Private in seiner Artikulation unspezifischer Unzufriedenheit natürlich eine nicht zu unterschätzende politische Sprengkraft.
Ob dieser Aspekt von Regisseur Ernst Cantzler und seinem Koautor Burghard Drachsler von vornherein so eingeplant war, mag einmal dahingestellt sein. Ausgangspunkt der Dokumentation dürfte ursprünglich der Versuch gewesen sein, ein gewisses Verständnis für die kleinen organisierten Fanclubs zu erzeugen und sie von den gewaltbereiten Hooligans abzugrenzen, die sich in den Stadien der DDR damals breitmachten. Facharbeiter seien die Mitglieder des Union-Fanclubs in Prenzlauer Berg, verlautbart der Film etwa – DDR-Code für die anständigen Stützen des Systems. Doch der in diversen Interviewauszügen vorgestellte Fanclubvorsitzende Andreas kann kaum als Musterbeispiel einer sozialistisch gefestigten Persönlichkeit herhalten, eher im Gegenteil: ein Langhaariger, den es nach eigener Aussage nie lange in einem Job gehalten hat und der auch keine festen Zukunftspläne aufzuweisen hat. Die FDJ lehnt er rundum ab („Da sind Leute dabei, die nicht mit Menschen umgehen können“) und außerdem „kotzt es ihn an“, nicht in den Westen fahren zu dürfen.
Die unverstellten Antworten auf manchmal sehr plumpe Fragen, die sich dann doch irgendwie als die richtigen erweisen, gibt dem Zuschauer ebenso wie die direkte filmische Herangehensweise das Gefühl, sehr nah dran zu sein an dieser letzten Generation junger Erwachsener in der DDR, die sich von ihrem Staat innerlich bereits verabschiedet hatte. Interessant ist auch der Umgang staatlicher Stellen mit dem Film in den letzten Monaten der DDR: Eine ratlose Kommission ließ letztlich zwei Kopien ziehen, eine für das Staatliche Filmarchiv und eine, mit der die Filmemacher durch Jugend- und Kulturclubs der Republik ziehen durften. Eine Kinoauswertung erhielt „… und freitags in die ‚Grüne Hölle‘“ nicht – verboten wurde die Doku aber auch nicht.
Berlin-Film-Katalog präsentiert den Film jetzt für einige Tage in der Brotfabrik in einem Doppelprogramm mit Volker Koepps kurzer Doku „Feuerland“ (1987), einem Porträt der Dorotheenstädtischen Vorstadt, jenem Viertel zwischen Invaliden-, Wilhelm-Pieck- (= Tor-) und Ackerstraße, in dem sich einst die Lokomotivenfabriken von Borsig befanden. In typisch Koepp’scher Manier geht es um das Verhältnis der Topografie zu menschlicher Arbeit und den Lebensumständen der Leute, doch wenn man genau hinsieht, lassen sich auch hier en passant gesellschaftliche Veränderungen erahnen: Da gibt es eine Hochzeit zu Udo-Lindenberg-Musik (ausgerechnet „Hinterm Horizont geht’s weiter“), und die beiden Punks haben mit dem gleichen Recht ihren Platz in der Kneipe wie der alte Schachspieler, der von seinem KZ-Aufenthalt in der Nazizeit berichtet.
■ „… und freitags in die ‚Grüne Hölle‘“, „Feuerland“: Brotfabrik, Caligariplatz 1, 10.–15. 10., 19 Uhr