: Exekution in Runde 7
Ein hochkonzentrierter Wladimir Klitschko dominiert Chris Byrd und darf sich wieder Schwergewichtsweltmeister nennen
AUS MANNHEIM BERTRAM JOB
Das zugeschwollene Antlitz des Verlierers, überlebensgroß auf dem mächtigen Bildschirm unter dem Hallendach: Kein anderer Sport ist in seinen entscheidenden Momenten auf so pathetische Weise so grausam wie das Berufsboxen. Bis Samstag kurz vor Mitternacht war Chris Byrd noch ein angesehener Champion im Schwergewicht nach Version der International Boxing Federation (IBF), der sich den Abstecher zur vollbesetzten Arena in Mannheim mit mehreren Millionen Euro vergüten ließ. Von einer Sekunde auf die andere war er jedoch nur noch die müde Reminiszenz seiner selbst – ein schwer gezeichneter Has-been, wie man bei ihm in Las Vegas sagt, und zudem ein offenbar zutiefst enttäuschter Mann.
Die angeschwollenen Partien im Gesicht rührten von den vielen Schlägen, die Byrd in etwas mehr als sechs Runden von Herausforderer Wladimir Klitschko bezogen hatte. Doch die schmerzvolle Miene war eher der Gewissheit geschuldet, dass ihm an diesem Abend etwas entglitten war. Der 35-jährige Profi war von seinem Gegner eindeutig bezwungen geworden, zum zweiten Mal innerhalb von 66 Monaten, und ähnlich wie damals hatte er auch diesmal nie eine echte Chance. Nur war er jetzt sogar regelrecht exekutiert worden, statt sich wie vormals mit Kampfgeist und großer Beweglichkeit über sämtliche zwölf Runden retten zu können. Denn ausgerechnet vom flinken Stil, mit dem er seine Gegner so gerne frustriert, war nicht mehr viel zu sehen.
Wer also hat diesen zweiten Kampf eigentlich gebraucht? Damals in Köln, nach der Punktniederlage, hatte der mitgereiste Clan der Familie Byrd schnell ein Rematch gefordert. Richtig erwärmen mochte sich für die Idee jedoch keiner. Zu eindeutig hatte Klitschko damals seine größere Reichweite und Schlagkraft genutzt, zu wenig vermochte Byrd dem entgegenzusetzen. Weil Chris aber später zum Titelträger der IBF avancierte und Wladimir nach schweren Pleiten den Gürtel der WBO verlor, wurde die Neuauflage eine Art Zwangsheirat mit gleicher Rollenverteilung: Wieder gab Klitschko als Nummer eins der Weltrangliste den Herausforderer, abermals betrat Byrd als Champion den Ring.
Aber was immer sich der Titelträger an neuen Wegen zu Kopf und Körper des ukrainischen Koloss’ ausgetüftelt haben mag – im Ring war davon sehr wenig zu sehen. Mit ein paar wirkungsarmen Körpertreffern konnte Byrd die Anfangsrunde stehlen, doch im weiteren Verlauf kam er nie mehr richtig an der beständig rührenden Führhand seines Gegners vorbei. Die konnte fast nach Belieben durch die nachlässige Deckung hindurch zustechen oder schwere Treffer mit der Rechten vorbereiten. So war Byrd bald nur noch damit beschäftigt, „gegen Wladimirs linken Arm“ statt gegen den ganzen Klitschko zu kämpfen, wie dessen Cheftrainer Emanuel Steward hinterher formulierte. Und dabei wuchs in seinem Schützling rasch das Selbstvertrauen.
Wie ein Trainingsgerät tickte Klitschko unermüdlich den zurückschnappenden Kopf des Amerikaners an und fühlte sich dabei so stimmig „wie ein Musiker, der nach Noten spielt“. Der Ausgang in diesem „perfekten Kampf“ (Steward) war dann nur noch eine Frage der Zeit. Im fünften Durchgang wurde Byrd von Ringrichter Kelly erstmals angezählt, zu Beginn der 7. Runde, als ihn eine weitere Rechte niederstreckte, genau im richtigen Moment aus dem ungleichen Kampf genommen. „Ich war vielleicht zu aufgeladen“, sinnierte Byrd später. Aufmerksamen Beobachtern ist jedoch nicht entgangen, dass der einstige Verteidigungskünstler nicht mehr die Reflexe und die wendigen Beine aus seiner besten Zeit besitzt. 291 Amateurduelle und 43 Profivergleiche beginnen 14 Jahre nach seiner olympischen Silbermedaille im Mittelgewicht offenbar zersetzend zu wirken.
Wladimir Klitschko scheint sich dagegen im elften Profijahr endlich seinem immensen Potenzial zu nähern. Vor den TV-Augen von 102 Nationen präsentierte sich der 30-Jährige als „ein kompletter, erfahrener Boxer“ (Steward) und genoss den „tollen Abend“. Der einst leicht abzulenkende Modellathlet hat plötzlich „einen Riesenspaß am Boxen“ und fühlt sich im grell erleuchteten Seilgeviert nun „wie ein Fisch im Wasser“. Das haben auch die Entscheider vom amerikanischen Pay-TV HBO gern gehört: Nur zu gern würden sie mit dem smarten Ukrainer einen unumstrittenen Weltmeister und „people’s champion“ präsentieren.