IRAKS NEUER PREMIER: EIN PRODUKT DES ETHNISCH-RELIGIÖSEN PROPORZES : Nagelprobe Kabinettsbildung
Er ist wahrlich nicht zu beneiden, der neue irakische Regierungschef. Dschawad al-Malki soll alles richten: die kollabierende Infrastruktur, den praktisch nicht vorhanden staatlichen Dienstleistungsapparat. Vor allem aber soll der Politiker, auf den sich die verschiedenen konfessionellen und ethnischen Gruppen des Landes endlich geeinigt haben, wieder für Sicherheit sorgen, nachdem die letzten vier Monate des politischen Vakuums das Land an den Rand des Bürgerkriegs gebracht hatten.
Dass US-Präsident George Bush die Wahl al-Malkis eine „historischen Errungenschaft“ nennt, verwundert nicht. Doch wie viel Spielraum hat der Neue an Iraks Spitze tatsächlich? Er selbst ist als ehemaliger Sprecher der schiitischen Dawa-Partei ein Produkt des Systems konfessioneller und ethnischer Gruppen, das er nun überwinden soll. Ob er über seinen Schatten springen kann, wird sich erstmals zeigen, wenn er sein Kabinett vorstellt. Bisher galt nicht die Qualität, sondern die konfessionelle und ethnische Zugehörigkeit als Eintrittskarte ins Ministeramt. Die Ministerien waren Selbstbedienungsläden der verschieden Gruppierungen. Selbst wenn al-Malki dort ein neues Kapitel aufschlagen möchte: Es ist schwer vorstellbar, dass die Ministerien nicht auch diesmal im konfessionellen Kuhhandel verteilt werden – mit dem einzigen Unterschied, dass auch die Sunniten einen Teil davon erhalten. Das Ergebnis gliche erneut weniger einem modernen Staatswesen als einer Ansammlung konfessioneller Fürstentümer.
Und dann ist da das Problem der Milizen, die bisher völlig außerhalb staatlicher Kontrolle und schlimmstenfalls sogar im Namen des Staates agiert haben. Al-Malki hat angekündigt, die Milizen in den offiziellen Sicherheitsapparat einzubinden und sie so zu neutralisieren. Doch genau dort wird er schnell mit seiner eigenen schiitischen Klientel anecken, das selbst mit den Badr-Milizen und der Mahdi-Armee zwei der großen bewaffneten Gruppen stellt. Der Irak hat nun zwar einen Premier – aber es fehlt immer noch ein Konzept, wie das Land drei Jahre nach der US-Invasion endlich befriedet werden soll. KARIM AL-GAWHARY