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Archiv-Artikel

„Das glaubt den Arbeitgebern doch keiner“

Die IG Metall hat sich in dieser Tarifrunde voll durchgesetzt, meint der Gewerkschaftsexperte Josef Esser

taz: Herr Esser, drei Prozent mehr Lohn, einen bundesweiten Tarifvertrag zur Qualifizierung der Belegschaften erstritten, die Steinkühler-Pause und die vermögenswirksamen Leistungen behalten – ist dieser Abschluss das große Comeback der IG Metall?

Josef Esser: Es ist ein ziemlicher Erfolg der IG Metall. Er überrascht vor allem, weil die Arbeitgeber sehr lange sehr restriktiv bei der Lohnerhöhung von 1,2 Prozent blieben.

Ist der Abschluss überraschend, weil die IG Metall so stark oder die Arbeitgeber so schwach waren?

Beides. Die Arbeitgeber wollten in einer konjunkturell guten Situation einfach keinen Streik riskieren. Deshalb haben sie nachgegeben.

Und die IG Metall hat die Angst vor Streiks gnadenlos ausgenutzt?

Die IG Metall hat sich eigentlich ganz normal verhalten. Es war klar: Die Drei muss vor dem Komma stehen bei einer gesamtwirtschaftlichen Produktivität von mehr als einem Prozent und einer Inflationsrate von zirka zwei Prozent. Es war klar: Der bundesweite Qualifizierungstarifvertrag dient beiden Seiten. Und damit hat sich die IG Metall durchgesetzt.

Ziehen die Drohszenarien der Arbeitgeber vom Druck der Globalisierung und der Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland nicht mehr?

Diese Drohkulissen waren doch nie gegeben. Verlust von internationaler Wettbewerbsfähigkeit? Ja, mein Gott, das Zeug glaubt den Arbeitgebern doch keiner mehr. Es gibt die große Verlagerung ja nicht. Und wer ist denn der Stützpfeiler des Exportweltmeisters Deutschland? Es ist doch die Metall- und Elektroindustrie. All diese Horrorszenarien sind von der Realität dermaßen blamiert worden, dass die Arbeitgeber damit in dieser Tarifrunde überhaupt nicht punkten konnten.

Die IG Metall war mit einem gezielten Warnstreik erfolgreich, Ver.di dagegen streikt immer noch – ohne Aussicht auf einen Kompromiss mit den Ländern. Kennzeichnet das die Kräfteverhältnisse der beiden großen Gewerkschaften in Deutschland?

Ver.di hat drei Probleme, die die IG Metall nicht hat. Zum einen hat die Dienstleistungsgewerkschaft mit den Ländern einen Arbeitgeber, der seit zwei Jahren blockiert. Zum anderen ist es so, dass die Angst der Länder vor einem Streik nicht sehr groß ist, weil die Kassen leer sind und es ohnehin nichts zu verteilen gibt. Und drittens ist Ver.di insgesamt nicht gut aufgestellt, nicht so homogen und mobilisierungsfähig wie die IG Metall. Deshalb ist es für Ver.di ja schon positiv, dass sie überhaupt streikfähig waren, dass Kindergärtnerinnen, Müllfahrer und das Pflegepersonal sich gemeinsam gewehrt haben.

INTERVIEW: THILO KNOTT